Ein Ort allerdings fällt mir für die Verwendung im Rollenspiel besonders ins Auge, liefert er doch eine geradlinige und - wie immer bei Moers - detailreich ausgearbeite Vorlage für die altmodische Schatzsuche in Verliesen: die Literaturstadt Buchhaim und die endlosen Katakomben darunter.
Die Vorlage: Zamonien und Buchhaim
Im Jahre 1999 veröffentlichte Walter Moers seinen ersten Roman "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär", in dem seine aus der Sendung mit der Maus bekannte Figur den halben fantastischen Kontinent Zamonien bereist, der laut Autor auch den eigentlichen Helden des Buches darstellt. Zum jetzigen Zeitpunkt sind insgesamt sechs dieser Romane erschienen, von denen zwei, "Die Stadt der Träumenden Bücher" und "Das Labyrinth der Träumenden Bücher", von den autobiografischen Erlebnissen des Dicherlindwurms Hildegunst von Mythenmetz in der Stadt Buchhaim im Abstand von etwa 200 Jahren erzählen.
Dieser Ort hat sich gänzlich der Literatur vergeben, nirgendwo findet man mehr Autoren, Verleger, Drucker, Kritiker oder Leser an einem Ort versammelt. Das wahre Buchhaim jedoch liegt unterirdisch: In kilometerlangen Katakomben lagern unzählige Bücher, Manuskripte und Schriftrollen - je tiefer man in das zunehmend gefährliche Höhlensystem eindringt, desto älter und wertvoller werden die Werke. Und so gibt es auch einen ganzen Berufszweig, der sich der Bergung so mancher seltener Bücher gewidmet hat. Waren dies im ersten Roman noch die grobschlächtigen Bücherjäger, die als skrupellose Einzelgänger auf Beutesuche gingen, so wurden sie in der zweiten Geschichte inzwischen von den Librinauten abgelöst, die wesentlich besser vorbereitet an die Sache herangehen und in gegenseitigem Respekt nach einem strengen Ehrenkodex leben.
Diese Schatzsucher nach antiquarischen Kostbarkeiten schreien natürlich danach, als Spielercharaktere im Rollenspiel eingesetzt zu werden. Zwar sind die Librinauten laut Moers Vorlage allesamt Einzelgänger, allerdings wird in dem Roman auch erwähnt, dass diese sich in ganz seltenen Fällen für besonders waghalsige Bergungsmissionen zusammentun - und eine Abenteurergruppe ist geboren.
Jäger der verlorenen Schätze
Obwohl die Librinauten in den Buchhaimer Katakomben in Moers Romanen nur eine Nebenrolle spielen, offenbaren diese Schriften doch genug über deren Geschichte und Vorgehensweise.
Im ersten Buchhaimroman "Die Stadt der Träumenden Bücher" werden die Bücherjäger noch als erbarmungslose Schurken und Antagonisten dargestellt, die auf der Suche nach literarischen Schätzen auch einander ohne Skrupel töten. Kein Wunder also, dass dieser Berufszweig oft Söldner und Verbrecher anzog, die selbst of nicht einmal selbst lesen konnten. Typisch waren die martialischen Rüstungen und individulisierten furchteinflößenden Masken, die neben Tieren, Staub und Fallen auch vor anderen Bücherjägern schützen sollten.
Erst die Pionierarbeit des Hundlings Colophonius Regenschein und dessen daraus resultierender Erfolg änderten die Vorgehensweise:
Bei seinen Vorbereitungen nutzte Regenschein seinen hervorragenden Geruchssinn und ausgezeichnetes Gedächtnis. Er lernte dutzende von alten Sprachen und alte Karten der Unterwelt von Buchhaim auswendig, studierte die Geschichte der Buchherstellung, Geologie, Archäologie und Grubenbau und merkte sich zahlreiche Fakten über die Flora und Fauna der Katakomben. Außerdem merkte er sich die unterschiedlichen Buchparfüme und für wen sie hergestellt worden waren.
Quelle: Zamonien Wiki über Colophonius Regenschein
Als der Protagonist Hildegunst von Mythenmetz nach etwa 200 Jahren in "Das Labyrinth der Träumenden Bücher" nach Buchhaim zurückkehrt, berufen sich die dortigen Bücherjäger, die mittlerweile den Titel Librinauten bevorzugen, auf Regenscheins (wenn auch inzwischen überholte) Forschung und halten sich auch an dessen etablierten Kodex. Tatsächlich ist sogar ein visionärer Traum dieses Berufszweigs, irgendwann einmal die weitreichenden Katakomben bewohnbar zu machen. Durch die tödlichen Gefahren in den Katakomben hat sich die Tradition der martialischen Rüstungen allerdings erhalten, zumal diese auch zum touristenwirksamen Lokalkolorit der Stadt Buchhaim gehören.
Librinauten als Spielercharaktere
Überträgt man diesen Hintergrund auf das Rollenspiel, so zeigen sich keine großen Unterschiede zu den Figuren, die seit den Zeiten von DnD und den derzeit beliebten Oldschool-Systemen zahllose Verliese auf der Suche nach Schätzen erkunden. Auch wenn die Librinauten sich untereinander nicht mehr bekriegen, so ist kämpferische Expertise aufgrund der Vielzahl von üblem Getier - zu diesen Widersachern an anderer Stelle mehr - unverzichtbar.
Auch die Vielzahl von Fertigkeiten, die sich die Librinauten seit Regenscheins Zeiten aneignen lässt sich ebenfalls sehr direkt auf die Gliederung geläufiger Systeme übertragen, wie etwa die gängigen Skills Investigation, Perception, Lockpicking, Survival und andere vergleichbare.
In einem Detail allerdings weicht Zamonien jedoch von den Standards des Rollenspiels ab: Moers Welt kennt keine Magie. Zwar gibt es dezente Andeutungen von Hellsehen in Form von Phrophezeiungen seitens verschiedener Schrecksen; mächtige arkane Zauber wie beispielsweise Schadenssprüche oder Verwandlungen sucht man aber vergebens.
Präsenter in den Romanen sind diverse Formen der Alchemie. Gerade in den Buchhaim-Romanen herrscht der zwielichtige Buchimismus vor, der beispielsweise Homunkuli in verschiedenen Größen oder diverse Artefakte im Zusammenhang mit Buch, Tinte oder Feder herzustellen in der Lage ist. Eine andere Art von Artefakt schildert "Rumo und die Wunder im Dunkeln" in Form zweier Schwerter, in denen die Seele einer Kreatur eingeschlossen ist.
Den Protagonisten von Moers Romanen allerdings sind diese Fertigkeiten allerdings stets verschlossen, statt dessen werden sie nur - wie etwa der oben genanne Wolpertinger Rumo - mit den vollendeten Artefakten konfrontiert.
So ist es naheliegend, Magie auch für Spielercharaktere lediglich auf die Anwendung bestimmter Gegenstände zu reduzieren. In Absprache mit dem Spielleiter mag auch limitierte Kenntnis im Buchimismus erlaubt sein, der selbst die Herstellung kleinerer Artefakte erlaubt.
Fortsetzung folgt
Nach dieser Einführung in die Romanvorlage und den - zum Glück recht gradlinigen - Überlegungen für eine Umsetzung ins Rollenspiel wird sich Teil II damit befassen, wie ein Buchhaimer Dungeoncrawl in diversen Systemen aussehen könnte. Zudem werde ich in einem dritten Teil konkreter auf die Gefahren, Schätze und Auftraggeber eingehen, denen die wagemutigen Librinauten begegnen können.
Dieser Artikel ist Teil des Karnevals der Rollenspielblogs im Monat Juli. Dieser behandelt die Ökologie der Spielumgebung: Dungeons, Szenarien und Spielwelten. Die Moderation liegt bei Björn Jagnow, alle Beiträge des Monats werden zudem in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs aufgelistet.
Man sollte vielleicht noch bedenken, dass Librinauten wahrscheinlich mechanisch sind (zumindest teilweise). Dass das einfach nur normale Leute in Rüstungen sind, glaube ich nach allen Andeutungen nicht.
AntwortenLöschenEvtl. Sollte man verdeckt festlegen welcher Daseinsform der Librinaut angehört um versteckte Eigenschaften zuzuordnen.
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