Der Ringkrieg gegen Ende des Dritten Zeitalters stellt einen Höhepunkt in Tolkiens Mittelerde-Zyklus dar, ist aber aufgrund der detaillierten Beschreibung und des bekannten Ausgangs für das Rollenspiel eher uninteressant. Spannender wird es, wenn man einen Blick auf die Ereignisse im Vorfeld und am Rande der zentralen Schauplätze wirft. So konnte Sauron die Ostlinge und Haradrim aus dem Süden um sich scharen – was aber hat Gondor wohl in den Jahren zuvor versucht, um diese Allianzen zu hintertreiben?
Quellen und Interpretationen
Tolkien hat sich nur vage über die Verbündeten Saurons jenseits von Gondor und ihre Heimat geäußert. Ergänzt wurden diese Kulturen und Regionen mehr oder weniger von den Verlegern der diversen Herr-der-Ringe-Rollenspiele. Allen voran hat I.C.E. diverse Quellenbände für MERS publiziert, aber auch in Deciphers kurzlebigen HdR-Rollenspiel finden sich bei genauerem Hinsehen einige interessante Details. Die Quellen zu den unten aufgeführten Ideen werde ich jeweils angeben.
Wohlgemerkt sollen die folgenden Abschnitte nur einen groben Überblick über die möglichen Ziele und Handlungen geben. Der Osten und Süden bleiben ein großer Sandkasten, in den der Spielleiter einiges an Eigenarbeit investieren muss; doch ich kann zumindest versuchen, ein paar Schaufeln und Förmchen dafür zur Verfügung zu stellen.
Ankunft im Süden
Tolkien beschreibt in den Anhängen des Herrn der Ringe, wie der spätere König Aragorn selbst dem Feind im Süden einen schweren Schlag versetzte. Unter dem Namen Thorongil diente er in jungen Jahren sowohl König Thengel von Rohan als auch Truchsess Ecthelion II von Gondor. Für letzteren führte er im 2980 DZ, 39 Jahre vor dem Ringkrieg, eine kleine Flotte zum abtrünnigen Umbar, dessen Korsaren schon lange eine Bedrohung für die Küsten Gondors darstellten. In der folgenden Schlacht konnten deren Schiffe fast vollständig zerstört werden; auch der Kommandant der Stadt fiel.
Dieser Überfall kann einen guten Einstieg für die Spieler in die Kampagne im Süden darstellen. Nehmen sie zum Auftakt an der Schlacht um Umbar selbst teil, so werden sie von Thorongil anschließend in der Stadt zurückgelassen, um die Bemühungen Saurons in dieser Region zu unterwandern. Von dort aus haben die Charaktere nun etliche Möglichkeiten, die Lage zu erforschen und zu Gondors Nutzen zu beeinflussen. Dabei dürften sie vor allem auf sich allein gestellt sein, schließlich hat Gondor den Süden schon lange aufgegeben. Es ist aber möglich, dass mit den Mächten von Minas Tirith vereinbart wurde, auf geheimen Wegen regelmäßig Rapport zu erstatten oder Befehle zu erhalten. Dieser mag etwa über wagemutige Händler erfolgen, die den gefährlichen Weg auf der Harad-Straße gen Süden wagen, wo Bewohner Gondors nicht gerne gesehen sind.
Umbar und die Korsaren
Nach der erfolgreichen Schlacht unter der Führung von Thorongil dürfte die alte Hafenstadt der erste Ausgangspunkt für die Aktionen der Charaktere sein. Ursprünglich eine im Zweiten Zeitalter von den Numenorern erbaute Feste, war sie seit dem mittleren Dritten Zeitalter fast ausschließlich in den Händen der Haradrim. Die hier ansässigen Korsaren überfielen seitdem regelmäßig Gondors Küsten.
Nach der Schlacht sollte die Stadt in Aufruhr sein. Der Kommandant ist gefallen und die Flotte zerstört, nun werden die ansässigen Adligen wohl einen neuen Anführer und Wege finden müssen, ihre Ressourcen wieder aufzubauen. In diesen Machtkämpfen können die Charaktere gezielt versuchen, die letztlichen Entscheidungen zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. Besonders wagemutige und überzeugende Abenteurer könnten sogar versuchen, selbst eine Führungsposition zu erlangen und die Korsaren gegen andere aufzuwiegeln.
So mag eine andere Möglichkeit sein, Mißtrauen zu säen, da der Angriff Gondors so überraschend kam - gibt es vielleicht Verräter in der Stadt, oder haben Stämme außerhalb der Metropole ihre Finger im Spiel?
Allerdings müssen die Abenteurer sehr darauf achten, nicht als Infiltratoren aufgedeckt zu werden. Schließlich sind sie leicht als Nordländer zu erkennen, auch werden bestimmt einige Korsaren mißtrauisch gegenüber den engagierten Leuten, die sie zuvor nie in der Stadt gesehen haben.
Die Ostlinge
Auch wenn es zunächst nicht so aussehen mag und Tolkiens Originalquellen in diesem Punkt nur vage sind, so gibt es doch kein pauschales Volk der Ostlinge. Tatsächlich leben in den Ebenen um und jenseits des Meers von Rhun etliche Stämme, die unter diesem Überbegriff zusammengefasst werden. Die Stämme, die im Ringkrieg auf Saurons Seite auf den Pellenorfeldern und vor dem Einsamen Berg eingesetzt wurden, scheinen dabei nur ein Stamm zu sein, der mit Äxten bewaffnet vor allem mit Fußtruppen unterwegs war. Bekannt sind aber auch seit langem die Wagenreiter; Nomaden, die ihre Pferde vor allem als Zugtiere für ihre großen Behausungen und Kriegswagen einsetzen. Noch weiter im Osten leben die Variags, bei denen es sich Gerüchten zufolge sogar um Halbtrolle handeln soll.
Um 1850 D.Z. bildete sich sogar eine Allianz aus mehreren dieser Stämme, angeführt von den Wagenreitern, die aber nach der letztlichen Niederlage gegen Gondor in der Unbedeutsamkeit verschwanden. Ansonsten machen die Ostlinge regelmäßig durch Überfälle auf Gondors Grenzregionen, angestachelt durch den Dunklen Feind, auf sich aufmerksam.
Dieser konstanten Gefahr durch die unterschiedlichen Stämme Herr zu werden, kann für die Abenteurer sehr mühselig werden. Auf der einen Seite kann es zum Vorteil gereichen, sich nur auf die mächtigsten Clans zu konzentrieren und dafür zu sorgen, dass von Überfällen auf Gondor abgesehen wird. Vielleicht präsentiert man bessere Ziele, besticht Stammesfürsten oder sorgt dafür, dass weniger aggressive Anführer eingesetzt werden.
Eine andere, wenn auch riskante Alternative könnte sein, die Stämme des Ostens wie schon unter den Wagenreitern erneut unter einem Banner zu einen. Statt aber eine schlagkräftige Armee zusammenzustellen, können die Abenteurer versuchen, die Clans in ihrem Streit um die Vorherrschaft in dem Bündnis gegeneinander auszuspielen, so dass sich letztlich alle gegenseitig schwächen. Sollte aber ein wirklich schlagkräftiger Anführer aus diesem internen Machtkampf hervorgehen, so hätten die Abenteurer statt dessen eine neue große Bedrohung für ihre Heimat erschaffen, die Sauron nur in die Hände spielt.
Die Charaktere werden bei all ihren Vorhaben behutsam vorgehen müssen, da sie an ihrem Äußeren wahrscheinlich leicht als Fremde zu erkennen sind. Wie schon bei der Herausforderung, Rapport mit dem fernen Gondor zu halten, mögen auch hier Händler zwischen Ost und West dabei helfen, das gegenseitige Misstrauen zu überwinden.
Die Haradrim
Auch zu den Wüsten und Ödlanden im Süden – mehr bedeutet der Begriff „Harad“ eigentlich nicht – äußert sich Tolkien kaum. Ähnlich den Ostlingen sollen auch die Haradrim ein stolzes und kriegerisches Volk mit diversen Königreichen gewesen sein, das stetige Fehden untereinander ausgetragen haben soll. Ursprünglich von den Numenorern von Umbar aus beherrscht, fielen sie schließlich dem Einfluss Mordors anheim. Einige Quellen behaupten sogar, man habe Sauron als Gottheit verehrt.
Zunächst ist es naheliegend, die schon sehr kriegslüsternen Stämme gegeneinander auszuspielen. Da die Gondorianer wahrscheinlich schnell als Fremde enttarnt werden, mag es angebracht sein, aus dem Verborgenen zu handeln und den einzelnen Gegenspielern jeweils die Schuld für aggressive Handlungen in die Schuhe zu schieben. Auch mag es die gewünschten Streitigkeiten auslösen, wenn man die Mumakherden, aus denen die Haradrim ihre mächtigen Schlachtreittiere zähmen, zu dezimieren oder bestimmten Clans vorzuenthalten.
Eine gewagte Alternative kann es sein, die Verehrung Saurons auszunutzen und – wenn die Abenteurer dies mit ihrem Gewissen vereinbaren können – im Namen des Lidlosen Auges die Handlungen der Stämme Harads zu Gondors Vorteil zu beeinflussen. Noch riskanter und schwieriger ist die Möglichkeit, die Anbetung des Dunklen Feindes durch eine andere Entität zu ersetzen. Sollte einer der Abenteurer selbst in den Wegen von Mittelerdes Magie bewandert sein, so kann er vielleicht glaubwürdig als Sprecher auftreten. Oder aber die Gondorianer schaffen es, einen der Blauen Zauberer für diese Hinterlist zu gewinnen – schließlich sind diese genauso wie Sauron Maia, auch wenn sie in weniger machtvoller Gestalt auftreten. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Blauen Zauberer wahrscheinlich selbst der Verlockung der Macht erlegen sind – ihnen Anhänger auf dem Präsentierteller zu servieren, mag sich im Nachhinein als schlechte Idee erweisen. Vielleicht reichen aber auch nur ein paar Gefolgsleute, um ein langanhaltende Fehde unter den Haradrim auszulösen.
Saurons Vasallen
Der Herr von Mordor wird den Aktionen der Abenteurer nicht tatenlos zusehen. Harad und Rhun grenzen schließlich direkt an sein Reich, zudem sollten ihm die Völker dieser Region zu wichtig als Verbündete für den kommenden Krieg sein. Zwei seiner mächtigen Leutnante könnten ein besonderes Interesse daran haben, die Pläne der Charaktere zu durchkreuzen.
Khamul der Ostling, einer der Ringgeister, ist zwar von seinem Herrn zum Leutnant von Dol Guldur im Düsterwald berufen worden, könnte aber aufgrund seiner Abstammung - einige von Tolkiens Randbemerkungen legen Khand nahe - ein besonderes Interesse haben, seine alte Heimat vor Aufständen zu beschützen. Die Macht des Schwarzen Ostlings und sein möglicher Einfluß in dieser Region könnten die Pläne der Abenteurer weit zurückwerfen.
Saurons Mund, Leutnant von Barad-Dur, war ursprünglich einer der Schwarzen Numenorer, die lange Zeit um Umbar wirkten. Angeblich soll er große Zaubermacht besitzen und könnte sich persönlich um die Ereignisse im Süden Mordors kümmern.
Die Zwerge
Zumeist denkt man bei den Zwergen Mittelerdes nur an die Angehörigen von Durins Volk, die nach ihrer langen Diaspora durch die Vertreibung aus ihren großen Königreichen endlich wieder eine Heimstatt im Einsamen Berg gefunden haben. Aule schuf allerdings sieben Stammväter der Zwerge, von denen Durin nur einer war. Deciphers kurzlebiges HdR-Rollenspiel hat in der Box „The Mines of Moria“ auch die Geschichte der anderen sechs ausgearbeitet, von denen drei auch für eine Kampagne fernen Süden und Osten interessant sind.
Sindris Volk, die Eisenfäuste
Die sehr pragmatischen Zwerge von Sindris Volk gaben sich schon früh mit den Ostlingen ab, die sie als Verballhornung des Kampfrufs “Baruk Khazad” als Barkarschad bezeichneten. Auch Gold von Mordor lehnten die Eisenfäuste bereits im Zweiten Zeitalter nicht ab, so dass sie in der Schlacht des letzten Heers auf Seiten Saurons kämpften. Gegen Ende des Dritten Zeitalters ist ihre Kultur zu großen Teilen in der der Ostlinge von Rhun aufgegangen, wo sie als Hellseher und Schamanen fungieren. Dabei nutzen die sogenannten Erdseher ihre Fähigkeit, die Eigenschaften der Metalle und anderer Schätze zu erkennen, auch Edelsteine werden gerne für Weissagungen genutzt. Das Geheimnis zur Fertigung des Stahls haben sie über die Jahrtausende für sich behalten, was Sindris Volk für die Ostlinge unverzichtbar macht.
Für die Spieler können diese Zwerge sowohl erbitterte Gegner oder wertvolle Verbündete sein. Der Einfluss der Erdseher auf einen Stamm mag dazu führen, dass jegliche Einmischung durch die Charaktere grundlegend als gefährlich gedeutet wird. Andererseits haben Eisenfäuste auch in der Vergangenheit das Gold anderer nicht abgelehnt – vielleicht kann man auch den einen oder anderen Schamanen so umstimmen.
Vars Volk, die Schwarzlocken
Nach Erhalt eines der Sieben Ringe entbrannte eine erbitterte Fehde zwischen den Völkern der Stammväter Var und Vigdis, die beide in den östlichen Bergen erwachten. Schon lange mit Mordor verbündet, gab Vars Volk dem Totenbeschwörer seine Binge Nargubraz als Zuflucht, wurde dann jedoch von Sauron verraten und vertrieben. Seitdem sind sie erbitterte Feinde von Mordor, die im Süden und Osten als wandernde Söldner, die „Äxte von Nargubraz“ bekannt sind.
Auch die Schwarzbärte können den Charakteren dabei helfen, den Einfluss Mordors zu unterbinden. Die Frage wird wohl eher sein, ob dieses Zwergenvolk dazu aus eigenem Antrieb bereit ist, oder ob sie doch klingende Münze sehen wollen.
Vigdis Volk, die Steinfüße
Die Feste Baraz-lagil im gleichnamigen Pass in den östlichen Bergen ist seit jeher die Heimstatt der Steinfüße. Dank ihrer genialen Verteidigungsanlagen wurde die Binge nie eingenommen, und auch sonst sind diese Zwerge anderen Völkern nur wenig zugetan. Sie waren stets erbitterte Feinde Mordors und haben sich nach dem Verrat durch Sauron auch wieder mit den Brüdern von Vars Volk versöhnt, auch wenn es sich hier um einen unterkühlten Frieden handelt.
Auch wenn die Steinfüße zweifellos nützlich für die Pläne der Charaktere sind, so wird die größere Schwierigkeit wohl darin bestehen, überhaupt zu diesem verschlossenen Volk vorzudringen und sie davon zu überzeugen, dass Taten außerhalb ihrer Feste nötig sind.
Die blauen Zauberer
Von den fünf Zauberern, die von Valinor nach Mittelerde entsandt wurden, werden zwei nur am Rande erwähnt. Erst das nach Tolkiens Tod erschienene „Nachrichten aus Mittelerde“ benennt sie als Alatar und Pallando, zudem äußerte sich der Professor in einem Brief zwiespältig über den Erfolg ihrer Mission. So wären sie wahrscheinlich gescheitert und hätten eigene Kulte und magische Traditionen gegründet. In einem späteren Schreiben jedoch mutmaßt Tolkien jedoch, die beiden hätten die Völker im Osten im Widerstand gegen Saurons Einfluss unterstützt. Beide Varianten wären für die Kampagne interessant oder ließen sich sogar kombinieren.
Etwas weiter hat I.C.E. die Rolle der beiden für MERS gesponnen. Alatar, ein Maia des Vala Orome, ist ein großer Jäger und sehr naturverbunden. Trotzt seiner Gestalt als alter Mann ist er der Istari mit den besten physischen Fähigkeiten. Im Sammelkartenspiel, das I.C.E. ebenfalls einige Zeit herausbrachte, wird mit Karten wie „The Great Hunt“ oder "Join the Hunt" angedeutet, dass Alatar sich der weltlichen Versuchung der Jagd hingegeben hat.
Gerade diese Interpretation halte ich für eine Kampagne sehr interessant. Als Jäger wäre Alatar wahrscheinlich ein Einzelgänger, der vielleicht noch ein paar getreue Weidmänner um sich geschart hat. Ihm könnten sich die Charaktere für einige Zeit anschließen und den blauen Zauberer vielleicht davon überzeugen, gezielt eines der mächtigsten Tiere des Südens zu verfolgen und zu erlegen: Die Mumakil, die die Südlinge als Reittiere und mobile Festungen nutzen.
Pallando wird in MERS mitunter als der Seelenhüter bezeichnet, ist er doch ein Maia, der einst Mandos, dem Richter über die Toten diente. Im Sammelkartenspiel wurde darüber hinaus durch Karten wie "Arcane School" oder "Pallandos Apprentice" angedeutet, dieser blaue Zauberer sei der Verlockung des Wissens erlegen und habe seine Kenntnisse als Magier an wissbegierige Schüler weitergegeben. Als solcher könnte Pallando einen mächtigen Verbündeten abgeben, der auch den Charakteren die Wege der Magie erläutert – so sie überhaupt sein Vertrauen gewinnen.
Wer weiß, vielleicht wäre ohne das Zutun der Charaktere in so einer Kampagne das Heer von Saurons Verbündeten ja wesentlich größer ausgefallen, so dass Gondor bei der Schlacht auf den Pellenor-Feldern letztlich unterlegen gewesen wäre.
Dieser Artikel ist ein Beitrag zum Karneval der Rollenspielblogs im November 2016 mit dem Thema "Aufstände, Rebellionen, Unabhängigkeitskriege". Die Moderation liegt blut_und_glas von d6ideas und Athair von der Zauberferne, alle Beiträge des Monats werden zudem in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs aufgelistet.
Bildquellen
"TLD-Intro-Easterlings" und "Haradrim Camp" von Jan Pospisil (Merlkir) auf DeviantArt
"Ironfist Dwarf" von Daniel Falconer/Decipher via Tolkien Gateway
"Alatar" und "Pallando" von Angus McBride für das Middle Earth CCG, I.C.E. 1995
Sehr schöner Artikel. Viele Informationen waren mir neu. Danke.
AntwortenLöschenbr!ck