Als die Geißel sich unaufhaltsam ihrem Höhepunkt näherte, forschten zahllose Magier der damaligen Provinzhauptstadt Parlainth nach einem Weg, den Horden der Schrecken zu entgehen. Letztlich verschwand die Metropole unter Leitung des Magiers Eyripemes in einer Tasche des Astralraums; ein Trick, den er von der selbstgefälligen jungen Drachin Kohlengrien erfahren hatte. Aber auch andere Zauberkundige suchten nach Möglichkeiten zu ihrer Rettung: Eine kleine Gruppe trachtete, ebenfalls unterstützt von dem Lindwurm, ihre Gedanken Leid, Schmerz und Niedertracht von ihrem Körper zu trennen, um für die Schrecken uninteressant zu werden.
Die Erschaffung der Schmerzensmänner
Der obsidianische Adlige Or’sem aus Parlainth war in den Jahren, in denen die Welt von Earthdawn unerbittlich auf den Höhepunkt der Geißel zusteuerte, der festen Überzeugung, dies sei vor allem eine Prüfung für die moralische Standhaftigkeit der Namensgeber. Wer reinen Gewissens und tadellos im Geiste sei, dem würde auch die Verderbtheit der Schrecken nichts anhaben können – denn ihre Gier nach Schmerz und Leid würde dann ins Leere laufen. Großen Zuspruch fand seine Denkweise zunächst aber nicht, sahen doch seine Mitbürger, wie der Verkauf der Riten des Schutzes und des Übergangs als einzige Verteidigung gegen die kommende Plage Thera und somit auch Parlainth zu Macht und Blüte verhalf.
Erst Jahrzehnte später, als die Überfälle der Schrecken aus dem Astralraum zunahmen und so auch für die Oberschicht von Parlainth zu einer allgegenwärtigen Bedrohung wurden, wandten sich immer mehr Gefolgsleute Or’sem und seinen Lehren zu. Den wahren Durchbruch erreichte diese Gruppierung, als sich ihr der menschliche Magier Irdovemos anschloss. Dieser war wegen seines großen Talents zwar sehr geschätzt, dennoch brachten seine unorthodoxen Theorien und Experimente ihm in seiner Disziplin einen Ruf als Wirrkopf und Phantast ein.
Beflügelt von Or’sems Theorie des reinen Geistes suchte Irdovemos nach Wegen, die schändlichen Emotionen restlos aus einem Namensgeber zu tilgen. Fortschritte machte er aber erst, als er nach langem Bitten zur jungen Drachin Kohlengrien vorgelassen wurde, die an den Einwohnern Parlainth schon lange Gefallen gefunden hatte und diesen Geheimnisse verriet, für die die jungen Namensgeberrassen eigentlich noch nicht reif genug waren. Irdovemos war fasziniert von den Fähigkeiten der drachischen Gedächtniskristalle, in denen Erinnerungen und Bilder gespeichert werden können. Mit seinen aus drachischer Sicht recht kruden Möglichkeiten unternahm er ausgiebige Experimente mit Lebendem Kristall, in die nach etlichen Rückschlägen schließlich ganze Emotionsregungen übertragen konnte. Seine Entdeckung nannte er voller Stolz Leidenskristalle.
Zwar hätte Irdovemos die so erschaffenen Emotionsspeicher einfach gut verstecken und so vor dem Zugriff durch die Schrecken verbergen können, stattdessen überlegte er sich eine perfide Methode, diese Artefakte als Lockvögel zu verwenden. So verschmolz er die Leidenskristalle mit robusten metallenen Falschmenschen, auf dass diese von ihm als Schmerzensmänner bezeichneten Kreaturen als leichte Beute für die auf Pein versessenen Dämonen fungieren konnten.
Irdovemos Entdeckung der Leidenskristalle und Schmerzensmänner war für die kleine Gruppe von Or’sems Anhängern eine Sensation und sorgte auch für Zulauf von neuen Jüngern. Niemand von ihnen zögerte, sich der reinigenden Prozedur des Zauberers zu unterziehen und die eigenen schlechten Gedanken und Emotionen in Leidenskristalle zu verbannen. Dabei entstanden mehrere Dutzend Schmerzensmänner, die ihre Besitzer gern in ihrer Nähe wussten, auf dass auch stets ein Lockvogel gegen einen überraschenden Schreckensangriff bereit stünde.
Die Forschungen des Magiers Eyripemes allerdings, die Parlainth im Astralraum verschwinden lassen sollten, standen zu diesem Zeitpunkt schon kurz vor ihrer Vollendung, so dass nicht bekannt ist, ob die Schrecken tatsächlich von den gereinigten Namensgebern abließen und sich auf die Schmerzensmänner stürzten. Überliefert ist jedoch, dass sämtliche Jünger Or’sems nach ihrer Behandlung nur noch ein tristes, freudloses Dasein fristeten, denn zu stark war wohl der Eingriff in ihre Persönlichkeit gewesen, die für das Fehlen einer Seite des Gefühlslebens nicht geschaffen ist.
Ihr Vermächtnis hingegen sollte überdauern. Zahlreiche Schmerzensmänner überlebten den Überfall der Schrecken auf Parlainth, die nicht auf den plumpen Täuschungsversuch des Irdovemos hereinfielen. Stattdessen wurden auch diese Falschwesen mit einem rudimentären Bewusstsein ausgestattet, auf dass die in ihnen gespeicherte Bosheit und Heimtücke die Namensgeber heimsuche, denen sie ihre schmerzerfüllte Existenz verdanken. Tatsächlich scheinen die Schrecken in den Schmerzensmännern so eine unstillbare Wut auf die Namensgeber ausgelöst zu haben, von denen sie nur Verdorbenheit und Leid geschenkt bekamen, nicht aber die Möglichkeit zu Freude und Hoffnung.
Wie andere Falschwesen suchen die Schmerzensmänner immer noch die Ruinen Parlainths heim. Wehe den Abenteurern, die ihre Niedertracht erleiden müssen!
SCHMERZENSMANN
Diese intelligenten Konstrukte haben eine große Ähnlichkeiten mit Stein- oder Stahlmenschen, wurde ihr Körper doch aus derart robustem Material gefertigt. Ihr Körperbau ist jedoch wesentlich filigraner. Am auffälligsten sind die großen Kristallsplitter, die mit dem Falschwesen verwoben wurden. Bei einigen mag der Kopf ein entsprechend großes Stück sein, bei anderen sind mehrere kleine Splitter über die Brust oder den Rücken verteilt, und bei wieder anderen mag ein einzelner Kristall an der Stelle des Herzens sitzen. Allen ist aber gemein, dass innerhalb der Kristallsplitter eine zähflüssig anmutende Energie eingeschlossen ist – die negativen Gedanken und Emotionen von Namensgebern, die sich so reinigen und kein Ziel mehr für die drohenden Schrecken abgeben wollten.
Durch diese in ihnen gespeicherte Niedertracht sind Schmerzensmänner heimtückische Gegner, deren Intelligenz und Rachsucht nicht zu unterschätzen ist. Anders als die übrigen Falschmenschen sind sie durchaus in der Lage, Namensgeber über längere Zeit zu beobachten und ihnen geschickte Fallen zu stellen, um sich dann an der Qual ihrer Opfer zu erfreuen.
Herausforderung: Geselle (Achter Kreis)
GES: 12
STR: 7
ZÄH: 8
WAH: 14
WIL: 14
CHA: 4
Initiative: 12
Körperliche Verteidigung: 8
Mystische Verteidigung: 15
Soziale Verteidigung: 15
Physische Rüstung: 10
Mystische Rüstung: 14
Bewusstlosigkeit: —
Todesschwelle: 80
Wundschwelle: 12
Niederschlag: 14
Erholungsproben: 4
Bewegung: 10
Aktionen: 2; Waffenlos: 18 (24)
Kräfte:
Aufmerksamkeit (16): Wie die Fertigkeit, Spielerhandbuch, S. 77.
Falle Schmieden (8): Wie die Dämonenkraft, Spielleiterhandbuch S. 284
Gehärtete Rüstung
Immun gegen Furcht
Schmerzen Widerstehen (6)
Spezialmanöver:
Aura der Bosheit (10, Frei): Der Schmerzensmann überträgt die in ihm gespeicherte Bosheit in ein Opfer, das er gerade berührt. Dazu legt er eine Probe auf Aura der Bosheit ab und vergleicht sie mit der Sozialen Verteidigung es Ziels. Gelingt die Probe, nimmt das Ziel gegenüber jedem anderen Namensgeber eine Feindselige Haltung ein. Für zwei zusätzliche Erfolge verschlechtert sich die Haltung des Ziels um einen weiteren Grad auf Feindlich (siehe Spielleiterhandbuch S. 93 für weitere Informationen über Haltungen). Die Kraft hält für eine Anzahl von Runden gleich der Differenz zwischen dem Probenergebnis und der Sozialen Verteidigung des Opfers an, mindestens aber 1 Runde.
Wenn ein Spielercharakter von dieser Kraft beeinflusst wird, sollte der Spielleiter den Spieler im Geheimen anweisen, sich entsprechend zu verhalten, und kann Entscheidungen des Spielers überstimmen, die den Auswirkungen der Kraft entgegenlaufen.
Hinter den Kulissen
Die Schmerzensmänner sind inspiriert von der üblen Star Trek: Das nächste Jahrundert-Folge 1x23 „Die Schwarze Seele“ („Skin of Evil“), die am ehesten dafür in Erinnerung geblieben ist, Denise Crosby alias Tasha Yar aus der Serie zu schreiben. Übrig bleibt die billig inszenierte Geschichte um eine großspurige Teerlache mit schlechter Laune; die Schöpfung einer uralten Kultur, die sich so aller bösen Gedanken und Emotionen entledigte.
Und der Begriff „Schmerzensmann“ stammt natürlich von den Andachtsbildern des leidenden Jesus Christus, aber der Bezug zu den in Earthdawn etablierten „Falschmenschen“ (im Original noch passender „Falseman“) war einfach zu verlockend.
Dieser Artikel ist ein Beitrag zum Karneval der Rollenspielblogs im November 2018 mit dem Thema "Das Böse". Die Moderation liegt bei Niniane, alle Beiträge des Monats werden zudem in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs aufgelistet.
Illustration
Klaus Westerhoff: "Schmerzensmänner von Parlainth", Creative Commons CC BY-NC-SA 4.0
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