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10.09.2012

Toon - Albern sein macht Spass!

Wie bei allen anderen Hobbys betreibe ich das Rollenspiel natürlich, weil es mir Spass macht. Wenn es aber um puren, ungehemmten und albernen Spass geht, so kommt mir nur ein System in den Sinn: Toon, das Cartoon-Rollenspiel.


Was ist Toon?
In Toon, dem Cartoonrollenspiel, übernimmt man die Rolle von Zeichentrickfiguren in der Tradition von Tex Avery oder der Looney Tunes. Ursprünglich als reine Parodie auf die ernsthafteren Rollenspiele seiner Zeit gedacht, veröffentlichten Steve Jackson Games im Jahre 1984 die erste Fassung. Die folgenden drei Zusatzbände mit Szenarien und Settings wurden 1991 schließlich in der Deluxe Edition zusammengefasst, die auch mein Einstieg gewesen ist. Bis 1994 erschienen 3 weitere Bücher, auch diese gefüllt mit Genreparodien, Szenarien und obskuren Gadgets.

Der Autor des originalen Toon war Greg Costikyan, der später bei West End Games mit Paranoia und dem Star Wars RPG zwei Klassiker des Hobbys erschuf; Developer war Warren Spector - ja, der Warren Spector. Mit der Deluxe Edition und den folgenden Veröffentlichungen wurde Robert "Doc" Cross federführend, der später auch einige Quellenbüchern für Over the Edge verfassen sollte.

Da die letzte Veröffentlichung für Toon bereits 18 Jahre zurückliegt, ist es kaum verwunderlich, dass diese Bücher nicht mehr im Handel zu finden sind. Auf seiner eigenen Plattform e23 allerdings bieten Steve Jackson Games zumindest noch die Toon Deluxe Edition sowie den Tooniversal Tour Guide als pdf an.



Wie bastelt man einen Toon?
Toon lädt schon beim ersten Schritt der Charktererschaffung zu Albernheiten ein: Für einen eigenen Charakter sucht sich der Spieler zunächst eine Spezies aus - ein Hase, ein Roboter, vielleicht auch ein sprechendes Auto. Hat man selbst keine Idee, so bietet Toon auch diverse Tabellen mit zunehmend absurden Spezies bis hin zu einem Toaster, einem Orang Utan oder einer Zwiebel.

Als nächstes ermittelt man per Wurf auf einem W6 die Werte der vier Attribute: Muscle (Stärke und Ausdauer), Zip (Geschick), Smarts (Hirnschmalz) und Chutzpah (Dreistigkeit, aber das jiddische 'Chutzpe' trifft es natürlich am besten). Und wenn der Zufall einem lauter niedrige Attribute beschert, muss das gar nicht mal schlecht sein: So merkt ein dämlicher Charakter vielleicht gar nicht erst, dass er über eine Klippe gelaufen ist und eigentlich runterfallen sollte; und eine ungeschickte Figur ist natürlich prädestiniert dafür, jede Menge lustiges Chaos anzurichten.

Anschließend stehen einem Charakter 30 Punkte zur Verfügung, um diese in Fertigkeiten und Shticks zu investieren.
Jede Fertigkeit basiert stets auf einem der vier Attribute, das auch den Grundwert darstellt. Mit den verfügbaren Punkten kann eine Fertigkeit auf maximal 9 gesteigert werden. Die einzelnen Fertigkeiten erstrecken sich von Gemeinplätzen wie Springen, Kämpfen oder Wahrnehmung bis hin zu zeichentricktypischen Spezialitäten wie Bequatschen, Schund weiterreichen oder Gefährliche Dinge Identifizieren.
Shticks - schon wieder so ein unübersetzbares Wort aus dem Jiddischen - stellen die Cartoontypischen Sonderfertigkeiten wie zum Beispiel Dehnbare Gliedmaßen, Gestaltwandlung, Unglaubliches Tempo oder Unsichtbarkeit dar. Diese Kosten je nach Stärke zwischen 2 und 10 Punkte, jeder nach dem ersten sogar 5 Punkte extra. Alle Shticks beginnen mit dem Wert 5.

Bei einem Spiel aus den frühen 80ern dürfen natürlich auch Trefferpunkte nicht fehlen, die hier mit 1W6+6 ausgewürfelt werden.

Abschließend definiert man noch einige freie Angaben. Dazu gehören zunächst möglichst allgemeine Vorlieben wie "Jagt jeder Katze hinterher" bei einem Hund. Natürliche Feinde - etwa der Hundefänger bei besagtem Hund - gehören ebenfalls dazu. Zuletzt folgen die eigenen Überzeugungen und Ziele wie etwa "Knöpfe sind dafür da, gedrückt zu werden" oder "Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn alles blau ist."


Wie funktioniert Toon?
Der Spielverlauf unter Leitung des sogenannten "Animator" gestaltet sich denkbar simpel: Alles was Spass macht ist erlaubt. Möchte man eine Fertigkeit oder einen Shtick einsetzen, so gilt es deren Wert mit 2W6 nicht zu überwürfeln.

Treffer, die immer mit einer vorbestimmten Zahl von W6 ermittelt werden, kann man auf viele Arten einstecken, vom Kuchen-ins-Gesicht-Schaden über den Wütender-Bär-Schaden bis zum Diesen-Knopf-hättest-Du-besser-nicht-drücken-sollen-Schaden sind dem Animator keine Grenzen gesetzt. Hat eine Figur dabei all ihre Trefferpunkte verloren, so ist diese nicht etwa bewusstlos oder gar tot: Nein, in bester Zeichentricktradition fällt der Charakter einfach auf die Schnauze ("falls down") und muss für 3 Minuten aussetzen.

Ebenfalls gemäß des Vorbilds gibt es auch die Möglichkeit, dass eine Figur völlig von den Socken ("boggled") und damit handlungsunfähig ist - Tex Averys Wolf in "Red Hot Riding Hood", hier zu sehen auf Youtube, lässt grüssen. Und sollte ein Spieler etwa während der Sitzung vor lauter Lachen kein Wort mehr herausbringen, so gilt seine Figur natürlich auch als "boggled"...

Die Grundregeln empfehlen eine Gesamtspielzeit von etwa 20 Minuten pro Spieler - wer braucht schon eine zusammenhängende Geschichte? Sollte man nach dieser Zeit noch zu keinem Ende gekommen sein, so gibt es zur Not sogar eine Zufallstabelle für das spontane Apokalyptische Finale...

Auch wenn Toon sich vor allem für einmalige Sitzungen zwischendurch eignet, so kann der Animator zum Ende noch die sogenannten "Plot Points" vergeben, mit denen man die diversen Fertigkeiten und Shticks steigern oder hinzuerwerben kann.


Warum es Spass macht
Auch wenn meine nüchterne Zusammenfassung es nur erahnen lässt: Alles, aber auch wirklich alles an Toon ist darauf ausgelegt, unbeschwerten Spass zu haben. Die diversen absurden Zufallstabellen oder die haarsträubenden Szenarien sind dabei allerdings nur das Tüpfelchen auf dem i.

Seinen wirklichen Schwung erhält Toon dadurch, dass es ein klassisches Element des Rollenspiels - das für viele allerdings auch einer der großen Anreize und Spassfaktoren ist - komplett ausschaltet: Das Risiko. Dadurch, dass den Figuren bis auf ein kurzes Aussetzen wirklich gar nichts passieren kann, wird jeder auch noch so abstrusen Aktion die Tür geöffnet. Die Große Pistole, mit der ich den verdammten Hundefänger in Schach halte, geht nicht los? Schauen wir doch mal in den Lauf, woran es liegen könnte. Der unwiderstehlich leckere Apfelkuchen liegt auf der anderen Seite dieses breiten und bodenlosen Schachts? Dann muss ich wohl ein wenig mehr Anlauf nehmen.

So sind die besten Szenarien für Toon auch die, die statt einer geplanten Handlung einfach nur einen großen Sandkasten für die Spieler anbieten - man kann sich eh sicher sein, dass der Sand mit vollen Händen durch die Gegend fliegt. Schon der Tooniversal Toon Guide erkennt: "In vielen Rollenspielen ist eine wohlüberlegte Handlung ein absolutes Muss. In Toon demolieren die Charakter diese zumeist umgehend."

Tatsächlich bietet auch mein Lieblingsabenteuer aus der Feder von Warren Spector genau das: In "The Better Housetrap" finden die von einer kalten Winternacht halb erfrorenen Charaktere überraschend ein Haus, dass sich als Prototyp für die vollautomatisierte Bleibe der Zukunft entpuppt. Und reicht es völlig aus, dass das Abenteuer die diversen Knöpfe, Automaten und Dienstroboter beschreibt, auf die man die Charaktere dann genüsslich loslassen kann - Chaos ist von der ersten Sekunde, haha, vorprogrammiert.

Wundert nach dieser ganzen Lobhudelei noch jemanden, dass Toon selbstverständlich seinen Weg in meine Liste der 10 Rollenspielbücher für die Ewigkeit finden musste?


Dieser Artikel ist Teil des Karnevals der Rollenspielblogs im Monat September über Spaßquellen im Rollenspiel. Die Moderation liegt bei Richtig Spielleiten, alle Beiträge des Monats werden zudem in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs aufgelistet.


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