Im vergangenen Monat widmete sich der Rollenspielkarneval den Überresten alter Gebäude und Kulturen: Ruinen. Nun bin ich stets darauf erpicht, dass dabei Material für den Spieltisch herauskommt, und tatsächlich hat dieses Thema Dutzende von solchen Beiträgen hervorgebracht. Höchste Zeit also, sich diese genauer anzusehen und den Ruinenkarneval zu einem ordentlichen Abschluss zu bringen.
Abhandlungen
Zahlreiche Blogger haben das Thema des Ruinenkarnevals weiter gefasst als nur Beschreibungen individueller Trümmerbauten.
Wer Ruinen etwa auch greifbar auf dem Spieltisch vorfinden möchte, der mag vielleicht Greifenklaues Empfehlung der Ruinen-Bastelbögen von Dave Graffam Models folgen. So ansehnlich die Modelle auch sind, ich selbst bin letztlich doch zu faul dafür und gebe ich mich meist während einer Spielsitzung mit groben Skizzen zufrieden.
Dnalors Fantasyblog (der in dieser Zusammenfassung noch einige Male auftauchen wird) widmet sich in der Beschreibung seiner Lieblingsruinen diversen Schauplätzen, die speziell Dere in seinen Inkarnationen Aventurien, Myranor und Rakshazar zu bieten hat. Ich selbst habe Dere schon vor geraumer Zeit hinter mir gelassen, aber gerade die Beschreibung des Horasiats Mayenios lässt mich darüber nachdenken, ob ich nicht doch mal wieder einen Blick auf das Güldenland werfen sollte.
Bei den Orkpiraten fasst man den Begriff der Ruine besonders weit: als Bruchstücke und Überreste nicht alter Bauten, sondern alter Abenteuer. Auch auf meiner Festplatte finden sich diverse Notizen mit Ideen für Szenarien, ganze Spielwelten oder One-Shots, die eigentlich mal wieder einen Blick wert wären. Gut, wenn man mal wieder daran erinnert wird.
d6ideas haben das aber schon lange verinnerlicht, denn was wäre ein Rollenspielkarneval ohne deren passende Archivübersicht? Neben den älteren Ideen zu SLA Industries oder Warhammer 40K finde ich aber vor allem die beiden Settingbeschreibungen Nydele und Leymios interessant, die inzwischen auch schon fünf Jahre auf dem Buckel haben.
Das Orakel moniert in dem irreführend als Ruine eines Beitrags genannten Artikel, dass Ruinen viel zu oft zur reinen Kulisse reduziert werden, wo doch gerade ihre Vergangenheit und ursprüngliche Bedeutung einer Geschichte den überraschenden Dreh geben kann.
In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Hoch ist Gut, der Ruinen als Spielelement um deren Geschichte erweitert wissen will. Ich kann beiden Autoren nur zustimmen, ist es doch eben die Kultur und der Zweck eines verfallenen Gebäudes, der seinen Sinn ausmacht und es erst interessant macht. Die anderen Artikel des Ruinenkarnevals bestätigen aber, dass andere genauso denken – die diversen Ortsbeschreibungen und Szenarien, die unten zusammengefasst werden, haben stets den ursprünglichen Sinn des Gebäudes im Hinterkopf.
Passend dazu wartet Seanchui Goes Rlyeh nicht mit einer selbstentwickelten Ruine auf, sondern widmet sich der Rezension des Quellenbuchs Terra Cthulhiana. In dieser Zweitauflage eines älteren Bands werden zahlreiche fiktive und reale Mythosstätten rund um den Erdball vorgestellt, allerdings weist die Besprechung auch daraufhin, dass die Darbietung der Inspirationsfülle eher trocken ist.
Zufallstabellen
Wer einfach nur eine schnelle Inspirationsquelle für den nächsten Spielabend braucht, findet im Ruinenkarneval auch diverse Zufallstabellen vor. Bemerkenswert ist, dass alle Tabellenbeiträge sich weit über spröde Angaben wie etwa Ort, Aufbau oder Plündergut hinausbewegen und so ein angenehm breites Spektrum abdecken.
Die erste solche Tabelle des umtriebigen Dnalor nimmt als augenscheinlich harmlosen Vorwand eine Falltür, die Helden in einer Ruine vorfinden. Diese kann neben lebendem und untoten Getier aber auch so seltsame Dinge wie einen Zugang in die Feenwelt verbergen.
In eine ganz andere Richtung geht Dnalors zweite Zufallstabelle, die vom modernen Phänomen der Urban Exploration inspiriert ist – denn auch in modernen Ruinen kann man sehr seltsames Zeug finden.
Glorias Nerd-Gedanken haben letztlich beim Ruinenkarneval den Vogel abgeschossen: Unter dem harmlosen Titel des Ruinenbaukastens verbirgt sich einiges mehr als nur einige Zufallstabellen für Räume und Fundstücke, sondern auch Ideen für den Einstieg in ein passendes Szenario, Widersacher, und wirklich einzigartige Funde. Umfangreicher und vollständiger geht es kaum!
Ortsbeschreibungen
Wie vielleicht von einigen erwartet schreit ein Ruinenkarneval natürlich danach, individuelle Gebäude genauer zu schildern. Dem sind auch einige Blogger nachgegangen, und stets ist dabei auch mehr herausgekommen als nur ein muffiges Verlies.
Dnalors erster Beitrag zum Ruinenkarneval war die Beschreibung der von steinernen Giganten getragenen Ruine Yal Qadhifa, inspiriert von einem im Netz aufgestöberten Bild. Und ich muss zugeben: Mir gefällt dieser überkandidelte Ort sehr gut, der von seiner Bauweise eigentlich so gar keinen Sinn ergibt, dafür aber mit ausgefallener Fantastik protzt. Das zweiseitige pdf mit der Beschreibung gibt einen angemessen knappen, aber umfangreichen Überblick über die Ruine: Seine Historie, seine aktuellen Bewohner und mögliche Abenteuer.
Bodenständiger geben sich da auf den ersten Blick Bloos Ruinen des Rattenkönigs. Nun sind Rattenplagen in der Kanalisation ja beliebte 08/15-Anfängerquesten, aber der Twist der ehemals intelligenten Nager, die sogar solch fortgeschrittene Bauten wie einen Zauberturm oder ein Lagerhaus inklusive Handelsbüchern errichten konnten, gibt der Idee eine frische Note, die auch gestandene Abenteurer überraschen dürfte.
In der Neunten Welt von Numenera hingegen darf man sich über seltsame Technologie nicht wundern. Ich selbst bin in meinen Spielrunden jedenfalls noch nie auf ein Labor gestoßen, dessen Zugang durch Musik zu öffnen ist, so wie in Kadomis Kammer der Vergessenen.
Die Papierheldin widmet sich mit den verfallenen Beelitz-Heilstätten aus dem Berliner Umland einer real existierenden Ruine. Neben einer kurzen Historie und Bildmaterial finden sich hier auch kurze Ideen für die Einbindung in die eigene Spielrunde, von denen mir die Ahnenforschung und die Erinnerungen eines ehemaligen Patienten am besten gefallen.
Mich selbst hat bei Ruinen fasziniert, dass sie die letzten Zeugen der Kultur und der Eigenheiten ihrer alten Bewohner sind. Gerade in der Welt von Earthdawn, in der während der Geißel zahlreiche Kaers verloren gingen, drohen deren Einwohner so für immer vergessen zu werden. Als Gegenpol habe ich den Steingarten des Hum'ton entworfen, in dem ein Obsidianer mit künstlerischen Bruchstücken genau dies zu verhindern sucht. Vom Text her eher eine schnell geschriebene Randnotiz, habe ich in die dazugehörige Illustration tatsächlich mehr Zeit investiert.
Szenarien
Andere Blogger gingen sogar noch weiter und haben neben der einfachen Ortsbeschreibung auch gleich ein Abenteuer mitgeliefert.
Beim ersten Szenario ist Dnalor auf die Geisterstadt Singapore aufmerksam geworden, die nur neunundzwanzig Jahre nach ihrer Gründung im Sand begraben wurde und in ihrer kurzen Existenz zahlreiche Krisen durchmachen musste. Diese bewegte Geschichte wird hier als Rollenspielsandkasten für Old Slayerhand mit drei Abenteuerideen umgesetzt, wobei mich als Sachbearbeiter bei einer Landesbank die Schurkereien besonders die Tricksereien der beiden ansässigen Geldinstitute interessieren. Ansonsten hätte ich selbst wahrscheinlich Ereignisse wie die Hungersnot in Fiasco umgesetzt…
Engor präsentiert auf seinem Dereblick das umfangreiche Szenario der Halskrone, einer Ruine am Wegesrand für DSA. Bei Tag ein verfallenes Gasthaus, erstrahlt es Nachts wieder in altem Glanz, wodurch Besucher erst gar nicht merken, dass sie von den Geistern der alten Bewohner umgeben sind. Diese Spukgestalten wissen zwar nicht um ihr Ableben, hegen aber intuitiven Argwohn gegen Besucher. Das ausgezeichnete Intermezzo für einen Spielabend wird zudem handlich in einem separaten pdf dargereicht.
Dnalors Blog schließt seine zahlreichen Beiträge mit der Zissme im Sumpf, einem Abenteuer für Rakshazar. Entstanden mit Hilfe von Glorias außergewöhnlichem Ruinenbaukasten, sind die erwürfelten Elemente zu einem stimmigen Ganzen zusammengefügt worden.
Blootastisches nimmt sich mit dem Dorf in den Ruinen des unlängst auf Deutsch erschienen Erzählspiels Geh nicht in den Winterwald von System Matters an. Wie in anderen Szenarien auch kann sich bei der Suche nach dem Schattenmann kein Beteiligter sicher sein, dass er lebend nach Hause zurückkehrt.
Gareth brennt! erweitert einen kurzen Satz aus der Gareth-Spielhilfe für DSA zu einer kleinen Abhandlung über den verfallenen Tempelkomplex Korona. Aventurische Helden können nun versuchen, den Geist eines alten Geweihten zu erlösen, der bis heute über einen Dämonenkerker wacht.
Mich selbst hat das Karnevalsthema noch zu einem zweiten Beitrag inspiriert, denn im unlängst erschienenen Mantel-und-Degen-Rollenspiel 7te See liegt das stolze Land Eisen nach dem Krieg des Kreuzes in Trümmern. Für die Bewohner sind aber selbst diese Trümmer noch Heimat, und genau darum geht es in der Ruine der Feste Targenwarder – alter Kleinadel klammert sich an den letzten Rest des Status, den er während des Kriegs verloren hat. Um es spannend zu machen, sind auch zwei Widersacher sowie ein potentieller SC in dem Artikel enthalten.
Thematische Serien
Zwar haben einige Blogs mehrere Beiträge zum Ruinenkarneval beigetragen, andere haben dies aber noch einen Schritt weitergeführt und ihre Artikel einem übergreifenden Thema untergeordnet.
Tage des Ruins
In der Vergangenheit haben die umtriebigen Autoren von d6ideas bereits mehrmals den Rollenspielkarneval zum Anlass genommen, im Rahmen einer Serie jeden Tag einen kleinen Beitrag zu liefern. So protzten auch die „Tage des Ruins“ konsequent mit dreißig kurzen, aber nicht minder knackigen Einträgen, die komfortabel unter dem Tag #Tage-des-Ruins zu finden sind.
So will ich mich hier statt einer Gesamtschau darauf beschränken, auf meine persönlichen Favoriten einzugehen. Und da ich mit blut_und_glas eine große Leidenschaft für Earthdawn teile, sollte es auch niemanden wundern, dass drei meiner Lieblingsbeiträge auch dort angesiedelt sind:
Tag 11: Die Zwergenmine in Cholts Bann – Diese Ruine für D&D zeigt bestens, wie ein Ort von seinen Bewohnern geprägt wird. Ursprünglich von Zwergen gegründet, dann von Ameisenwesen besetzt, hausen dort nun die Drachendiener der Roten Legion. Fundstücke aller drei Hausherren finden sich dort bis heute.
Tag 12: Der Letzte Wall – Hier haben mutige Adepten in Earthdawn ihr Leben im Kampf gegen eine heranstürmende Schreckenshorde hingegeben, damit andere Namensgeber vor ihr schützendes Kaer in letzter Sekunde versiegeln konnten. Auch wenn blut_und_glas behauptet, er wäre hier gerne mehr ins Detail gegangen, so gefällt mir dieser Ort wegen seiner vielen Andeutungen und Symbolik ausgesprochen gut. Allein die Erwähnung, dass die bis heute blutrote Erde besonders fruchtbar sei, lässt mannigfaltige Interpretationen und Ideen zu.
Tag 17: Hexensprung – Dieser Ort für Rogue Trader ist ein bedrückendes Beispiel, wie verfallene Hochtechnologie durch Aberglauben einem anderen Zweck zugeführt wird. Wer unter dem Verdacht steht, eine Hexe zu sein, verschwindet hier auf Nimmerwiedersehen, denn in Wirklichkeit handelt es sich um einen zerstörten Zugang ins Netz der Tausend Tore der Eldar, aus dem man nicht mehr hinausgelangen kann.
Tag 22: Die Stadt der Käfige – An diesem ehemaligen Umschlagplatz des Sklavenhandels wird der Wahnsinn einer der während der Plage verdorbenen Passionen auf bedrückende Weise deutlich. Dis, Earthdawns Schutzherr der Bürokratie und Sklaverei, belohnt zwar seine Anhänger für die Reparatur der hinterbliebenen Käfige, aber bestraft sie für den Abbruch dieser Arbeit – wofür aber wegen der schieren Menge ein Leben nicht ausreichen würde.
Tag 29: Splittersang: Dieses zerstörte Kaer aus Earthdawn überzeugt mich ob seiner dezenten Anmut – in lebenden Kristall wurden die Lieder von Troubadouren eingearbeitet, deren Gesang nun aber genauso zerbrochen ist. Zudem hat die neuartige Idee, langfristige Schutzzauber in Gesänge einzubetten, ein ungeheures Potential, das noch ausgenutzt werden will.
Ruinen der Sechsten Welt
Für Shadowrun hat Aus den Schatten ebenfalls eine Serie von insgesamt sieben Beiträgen verfasst, die allesamt existierende moderne Bauruinen als Grundlage nehmen und diese als Abenteuerschauplatz für die sechste Welt weiterspinnen. Der Stil jedes Beitrags ist kurz, knackig und auf den Punkt: Auf die trockenen Fakten über die Historie der Bauruine und die Gründe, warum diese aufgegeben wurde, folgt der für Rollenspieler interessante Teil. Im gängigen Stil der Matrixkommentare erfährt der Leser die Gerüchte über angebliche Geheimnisse und heimliche Weiternutzung der angeblichen Ruinen.
Mir gefällt die Auswahl des dargebotenen Stadtverfalls außerordentlich gut, etliche der präsentierten Projekte waren mir bisher unbekannt. Hervorheben möchte ich exemplarisch zwei davon: Zum einen die ehemalige Bergbau-Insel Hashima, die neben reicher Beute auch große Gefahren durch Geister und Critter birgt und so jenseits der oberirdischen Bergbauruine etliche weitere Abenteuer verspricht. Zum anderen die ehemalige venezianische Quarantäne-Insel Poveglia, die mit ihren erwachten Pflanzen für Taliskrämer interessant ist, einfach weil, nun ja, weil: Venedig!
Ein Fazit
Einundzwanzig reguläre Beiträge, dazu zwei thematische Serien mit jeweils dreißig und sieben Artikeln – allein von den nackten Zahlen ist der Karneval der Ruinen ein Erfolg gewesen, mit dem ich in dieser Form nicht gerechnet hätte. Aber auch jenseits der trockenen Beitragssumme sind es insbesondere die Inhalte, die überzeugen. Das breite Spektrum von Abhandlungen, kurzen oder ausgearbeiteten Szenarien und Zufallstabellen bietet einen anregenden Fundus für jeden Rollenspieler, der originelle Ruinen in seiner Runde sehen möchte. Bemerkenswert finde ich dabei vor allem, dass etliche der beschriebenen Ruinen ein reales Vorbild haben – manchmal sind die besten Ideen doch immer noch im Alltag zu finden. Vielen Dank an alle Beitragenden für ihre spannenden Beiträge!
Diese Fülle an spielbarem Material ist auch genau das, was ich mir vom inzwischen sechsten von mir organisierten Rollenspielkarneval erhofft habe. Umso interessanter ist dieser Zuspruch, zumal das Stichwort „Ruinen“ ursprünglich von zwei eigentlich erschütternden TV-Dokumentationen inspiriert wurde, die das Verschwinden von Kulturen durch das Tilgen ihres Andenkens aufzeigten. Jedenfalls bekräftigt mich die Vielfalt der Beiträge, auch im nächsten Jahr nach einem guten Begriff zu suchen und meinen dann siebten Karneval zu organisieren. Ihr seid mich noch lange nicht los…
Ich habe immerhin zur genüge aufgezeigt, wieso ich mich mit dem Thema so schwer tat. Also war der Beitrag in gewisser Weise eine "Neubauruine". XD
AntwortenLöschenSuper Zusammenfassung und danke für das interessante Thema.
AntwortenLöschenDanke, gern geschehen. Und im nächsten Jahr dann aufs Neue...
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