Die Blogstöcken gehen um, und auch mich hat diese Form des digitalen Kettenbriefs durch eine Aufforderung von RPGnosis erreicht. Dann will ich also Rede und Antwort stehen.
1. Welches Rollenspielprodukt hat dich persönlich am meisten geprägt?
Hier muss meine Antwort wohl DSA lauten – und als leider als Negativbeispiel herhalten. Als Einsteiger während der Ersten Edition haben mich die frühen Abenteuer und allerersten Regionalmodule und –boxen begleitet. In ersteren lernte ich die Strukturierung des Handlungsablaufs schätzen, bei letzteren war ich sehr angetan von den stetig wachsenden liebevollen Hintergrunddetails zu Aventurien. Damit übernahm ich aber auch eine sehr dogmatische Sicht darauf, wie die Spielwelt auszusehen hat. Ich habe sehr, sehr lange gebraucht, um das wieder abzulegen und zu lernen, dass die Vorgaben eines Settings oder Abenteuers nicht in Stein gemeißelt sind und ich für einen guten gemeinsamen Abend auch die Vorstellungen meiner Spieler berücksichtigen muss.
Auch wenn mir DSA ab der Vierten Edition zu unspielbar komplex geworden ist, schätze ich den ausgefeilten Hintergrund bis heute. Dass der Verfasser des allerersten Regionalmoduls „Das Bornland“ auf meinem Gymnasium nur eine Jahrgangsstufe über mir war und unsere Heimatstadt Bocholt augenzwinkernd darin verewigt hat, ist dabei nur ein nettes Detail am Rande.
2. Was ist die beste Regel, die dir je in einem Rollenspielsystem untergekommen ist, welches die schlechteste?
Die Frage nach *der* besten Regel ist schwer zu beantworten, dafür können mich schon kleine Feinheiten und pfiffige Ideen bei einem Mechanismus zu sehr verzücken. Wirklich beeindruckt hat mich aber in letzter Zeit vor allem das Konzept der Aspekte von Fate. Oft genug habe ich am Spieltisch erlebt, dass ein Spieler argumentiert hat, dass dieser oder jener Skill/Feat/wasweissich in der momentanen Spielsituation aber doch eigentlich passen würde, obwohl die Regeln es im Wortlaut nicht so vorsehen. Ganz anders, genau umgekehrt hingegen die Aspekte: Ich formuliere frei und großzügig interpretierbar eine Spielsituation, und sobald diese eintritt, darf ich daraus einen spielmechanischen Bonus ziehen. Für meine eigene Runde, in von einigen sehr auf Kompetenz und mechanische Effizienz der Charaktere gesetzt wird, hoffte ich durch diesen Ansatz genau diese Diskussionen obsolet machen zu können. Leider tut sich meine Runde mit dem freien Formulieren und vor allem Interpretieren von Aspekten schwerer als von mir erwartet – vielleicht kann ich sie aber noch zu einigen weiteren Spielabenden zum Erproben von Fate ermutigen.
Bei der schlechtesten Regel muss ich beschämt diejenige nennen, die in deutschen Rollenspielkreisen eh stets als Paradebeispiel für klobige Mechanismen herangezogen wird: die 3w20-Probe von DSA 2ff. Wahrscheinlich spielt bei mir aber auch persönlicher Unglauben mit hinein, hat doch ausgerechnet das Abenteuer-Ausbau-Spiel von DSA 1 mir zu Fertigkeitsproben stolz erklärt, dass drei aufeinanderfolgende Attributsproben zu diesem Zweck den Spielfluss zu sehr hemmten und man das doch viel eleganter mit nur einem Wurf abwickeln könne.
3. Wenn du heute nochmal eine Spielrunde starten könntest, die inhaltlich und vom Stil her genau so läuft wie deine allererste, würde das funktionieren? Warum?
Wie schon hinreichend berichtet war mein Einstieg DSA 1, natürlich mit Silvanas Befreiung als allererstem Abenteuer. Diese Runde lief aber sehr schnell auf repetitive Verliese und Ausrüstungsporno hinaus – hätten wir damals doch nur schon DnD gekannt! Tja, technisch funktionieren würde das wohl noch, reizvoll wäre es aber kaum.
4. Du beschließt nach reiflicher Überlegung, die nervige Spielrunde nebenan mit der Rollenspielpolizei zu SWATten – was haben sie angestellt?
Keine Ahnung, von mir aus mag jede Spielrunde nach ihrer eigenen Fasson glücklich werden. Wahrscheinlich würde ich wegen des plötzlichen vom SEK-Einsatz ausgelösten Lärms nebenan erschreckt auffahren und mich wegen der vielen Polizeifahrzeuge auf der Straße wundern. Die muss wohl jemand anders gerufen haben, dem irgendetwas auf den Zwirn gegangen ist.
5. Was vermisst du heute am Rollenspiel, was vor 20 Jahren (bzw. in den ersten Jahren, als du angefangen hast) noch anders und viel besser war?
Tja, dann reden wir in meinem Fall also über die Rollenspielzeit vor 30 Jahren. Entsprechend nostalgisch verklärt ist auch meine Antwort: In den 80er Jahren war DSA dank Schmidt Spiele ja noch im gängigen Spielwarenhandel zu finden, so dass ich auch in meiner überschaubaren Heimatstadt Bocholt im westlichen Münsterland damit in Berührung kommen konnte – und mit viel mehr anderem eben auch nicht. So wohnte also der Entdeckung der vielen anderen Systeme, die eben nicht so weitläufig vertrieben wurden, ein wundersamer Zauber inne. Mein erster Besuch in einem richtigen Rollenspielladen – dem damaligen Fantastic Shop im fernen Düsseldorf – war also eine wahrhaftige Offenbarung; und zum Glück war meine zweite Schulspielrunde sehr umtriebig, was das Ausprobieren von Systemen anging.
Nur einmal hat sich dieser Zauber dann noch einmal in meiner, nun ja, fortgeschrittenen Rollenspielerkarriere wiederholt: Auf der RPC 2008 – damals zum letzten Mal in Münster – entdeckte ich durch Zufall die Indie-Insel und konnte zum ersten Mal so seltsame Spiele wie My Life With Master oder Inspectres in Händen halten, von denen ich zuvor nur im Netz gelesen hatte. Noch mehr staunte ich, als man mir erzählte, dass es mit dem Sphärenmeister einen gut sortierten deutschen Onlineshop gibt, der sich genau auf diese Nische spezialisiert hat. Da hat sich mir von Neuem eine ganze Welt geöffnet.
6. Welche Settings sind im deutschsprachigen Raum deiner Meinung nach völlig unterrepräsentiert?
Ich möchte Settings an dieser Stelle gerne großzügig als „Genres“ interpretieren, und dann muss die Antwort nach sorgfältiger Überlegung lauten: Keines. Auch wenn einem für den deutschsprachigen Raum zunächst die Platzhirsche Das Schwarze Auge, Shadowrun, Cthulhus Ruf oder Splittermond – womit wir schon Fantasy, Cyberpunk und Horror abgedeckt hätten –in den Sinn kommen, so gibt es doch zahlreiche enthusiastische kleine Verlage, die das vielfältige Spektrum des Rollenspiels und seiner Genres/Settings abbilden. Nehmen wir als kleinen Ausschnitt doch nur solche Spartenprodukte wie Private Eye für Detektivgeschichten, Deadlands für Wildwest, Hollow Earth Expedition für Pulp, oder Kobolde fressen Babys! für abstrusen Humor. Und nicht zuletzt führe man sich einmal vor Augen, wie viele verschiedene Genres Christian Kennigs SlayEngine inzwischen mit Dungeonslayers, StarSlayers, GammaSlayers, Zombieslayers oder Old Slayerhand abdeckt.
7. Du gewinnst ganz groß im Lotto und kaufst einen Rollenspielverlag deiner Wahl! Welchen und warum?
Die Arbeit als Verleger wäre mir viel zu trocken, als dass ich das übernehmen wollte. Autoren anheuern, Illustration und Layout in Gang bringen, Produktions- und Vertriebspreise anfragen, nein, das wäre nichts für mich. Da ich aber als neuer Eigentümer die Weichen für zukünftige Publikationen stellen könnte, fällt meine Wahl auf Fantasy Flight Games, um deren unsägliche Praxis zu beenden, für jede Geschmacksrichtung ihrer tollen Lizenzen (Star Wars, WH40K) immer aufs Neue die teuren Grundregeln wiederzukäuen.
8. Wenn du die Wahl hättest, würdest du auf 20% deiner Arbeitszeit und deines Gehalts verzichten, um mehr Zeit für Privates zu haben?
Ein Vierpersonenhaushalt und ein Einkommen – diese Frage stellt sich bei mir gar nicht erst. Mit meiner Balance zwischen sozialversicherungspflichtiger Arbeit und Freizeit bin ich aber hinreichend zufrieden, als dass ich auch ohne diese Verpflichtung nichts ändern wollte. Und außerdem kommen einem doch manchmal ausgerechnet während der Arbeitszeit plötzlich die besten Ideen für das private Hobby…
9. Welches ist dein Lieblingswürfel und warum?
Einen großen Fetisch habe den diversen Polyedern nie abgewinnen können, und so ist meine Antwort schlicht: der W6. Schließlich ist dieser der Inbegriff des Würfels, den auch Laien außerhalb unseres Hobbies mit diesem Begriff assoziieren.
10. Wenn die Rollenspielfee dir einen Wunsch gewähren würde, der alle Rollenspieler der Welt betreffen muss, welcher wäre das?
Mehr Gelassenheit im Umgang mit unserem Hobby. Siehe auch Frage 1. Und Frage 4.
Und weiter geht's...
Nicht nur, dass ich mir nun hoffentlich zufriedenstellende Antworten auf zehn Fragen aus der Nase ziehen musste (wie bei diesem Stöckchen auch schon Gelbe Zeichen, Ilaris und Talasu), nein, der gute Ton von Stöckchen-Kettenbriefen verlang wohl auch noch von mir, für die nächsten Opfer dieses Schneeballsystems zehn neue Fragen zu ersinnen. Also dann:
1. Die Grenzen zwischen Rollen- und Brettspiel sind fließend, so kann man etwa mit GURPS die Schlachten gegen den Riesenpanzer Ogre nachspielen, mit Lords of Waterdeep in die Intrigen der Forgotten Realms eintauchen oder mit Doomtown um die Kontrolle der Stadt Gomorra in Deadlands kämpfen. Wo sähest Du gerne eine Umsetzung vom Rollen- zum Brettspiel (oder umgekehrt), und wie sähe diese aus?
2. Bleiben wir beim Brettspiel: Während (meiner Meinung nach) im Rollenspiel bei den Kernmechanismen in Form von Zielwurf, Unterwürfeln, Gummipunkten oder ähnlichem oftmals große Ähnlichkeiten zwischen den Systemen vorzufinden sind, gibt es bei Brett- und Kartenspielen eine ungeheure Vielzahl von Mechanismen und Variationen. Gibt es einen Mechanismus aus einem Brett- oder Kartenspiel, der in Deinen Augen die Möglichkeiten von Rollenspiel lohnenswert erweitern würde?
3. Welche Attribute (z. B. Stärke, Intelligenz et. al.) sollte ein Rollenspiel mindestens beinhalten? Ist weniger hier mehr oder vielleicht doch nicht?
4. Hast Du schon einmal eine Rollenspielregel falsch erklärt – und die erwies sich dann als *besser* als vom Autor vorgesehen?
5. Ausrüstung, Zaubersprüche, Sonderfertigkeiten – etliche Rollenspiele erschlagen den Leser mit schier endlosen Listen, die ganze Kapitel füllen. Welche derartigen Aufzählungen faszinieren Dich und lassen Dich unverzagt Seite um Seite verschlingen?
6. Vielfach wird die deutsche von DSA beherrschte Rollenspiel-Monokultur beklagt. Nun hast Du die Möglichkeit, für kurze Zeit Marty McFlys DeLorean zu stibitzen, während dieser für eine kurze Pinkelpause an der nächsten Straßenecke vor Dir erscheint. Welches Rollenspiel, das bis heute zu einem beliebigen Zeitpunkt der Geschichte erschienen ist, bringst Du in die frühen 80er, auf dass es das bundesrepublikanische Rollenspiel auf immer präge?
7. Immer wieder wird über den Rollenspielnachwuchs und Spiele für Kinder sinniert. Wenn Du heute im Kindesalter wärst, welches von den vielen Systemen auf dem Markt könnte wohl den perfekten Einstieg für Dich darstellen?
8. Apropos Kindesalter: Welche Serie/Film/Buch Deiner Kindheit - egal wie infantil sie Dir heute erscheinen mag - sollte unbedingt in ein Rollenspiel umgesetzt werden?
9. Egal welches System, egal welches Setting: Welches Quellenbuch sollte auf jeden Fall noch geschrieben werden?
10. Wil Wheaton, Vin Diesel, Robin Williams – amerikanische Rollenspieler können auf diverse Figuren im Rampenlicht verweisen, die ihr seltsames Hobby teilen. Welchen deutschen Prominenten – auch wenn dieser in Wirklichkeit von Rollenspiel noch nie gehört hat – kannst Du Dir als guten und publikumswirksamen Repräsentanten unseres Freizeitvergnügens vorstellen?
Antworten erhoffe ich mir von PiHalbe Achim und Gerrit von Alles Ist Zahl. Eigentlich wollte ich mein Stöckchen noch an Greifenklaue Ingo weiterreichen, aber da ist mir Aus den Schatten zuvorgekommen; und zwei Stöckchen auf einmal wären ja schon fast ein halbes Lagerfeuer. So mag denn jede andere seine Antworten kundtun, der töricht genug ist, mein Stöckchen aufzuheben. Mit Enten macht man das doch schließlich auch nicht:
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1 Kommentar:
Uiuiui, da hast Du Dir ja was ausgedacht! Wo sind eigentlich meine zwei Stufen hin?
Ich nehme an – zweifelnd, ob mir hinreichend zufriedenstellende Antworten einfallen. Hab einen Hauch Geduld dabei.
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