Der aktuelle Karneval der Rollenspielblogs unter Leitung von Greifenklaue steht unter dem sehr allgemein formulierten Thema "10 Dinge". Im Einführungsartikel findet sich unter anderem der Vorschlag "10 Bücher / Filme / Comics / Hörspiele, die ideale Inspiration fürs Rollenspiel bieten", den ich gerne aufnehme - denn was braucht unser Hobby schließlich dringender, als *noch* mehr Settings, die es zu bespielen gilt?
1 - [Romanserie] Thursday Next
Die Romanreihe von Jasper Fford besticht schon auf den ersten Blick durch ihr seltsames Paralleluniversum. Im Jahr 1988 sind Luftschiffe und Tunnel durch den Erdmittelpunkt die üblichen Transportmittel, per Gentechnik kann sich jeder ausgestorbene Spezies als Haustier in den eigenen vier Wänden zurechtklonen, und der allmächtige Konzern Goliath hat alle Bereiche des täglichen Lebens an sich gerissen. Zeitreisen sind nichts Ungewöhnliches, Vampire oder Werwölfe sind real und Literatur ein populäres Massenphänomen. So verwundert es nicht, dass die Organisation SpecOps mit Dutzenden von Teilbereichen wie ChronoGarde oder LitAgs genau diese Phänomene überwacht. Zu letzteren gehört auch Protagonistin Thursday Next. Es ist dem Autor hoch anzurechnen, das dieses wirre Gemisch verschiedenster Ideen dennoch als ein homogenes Ganzes wirkt.
Und die wirklichen Merkwürdigkeiten fangen da erst an. Seine wahre Brillanz entfaltet die Thursday-Next-Serie in der sogenannten Buchwelt, denn die Bücher und ihre Figuren führen ein Eigenleben. So gehen sie außerhalb ihrer Szenen diversen Freizeitbeschäftigungen nach, suchen auf dem Schwarzmarkt nach Dramatischen Wendungen für ihre Geschichte oder begeben sich auch mal unbemerkt in die reale Welt. Im Brunnen der Manuskripte warten halbfertige Geschichten auf ihre Fertigstellung und generische Figuren darauf, zu Charakterrollen ausgearbeitet zu werden. In all diesem Durcheinander sorgt Jurisfiktion, die Polizei der Buchwelt für Ordnung, auf dass die Geschichten unverändert bleiben und die Figuren auch ja ihre Rolle darin spielen.
Das ganze schreit natürlich nach einem System, in dem die Charaktere sich durchaus ihrer fiktionalen Identität und der Funktionsweise von Buch und Spiel bewusst sind, so dass Mechanismen dies gezielt aufgreifen.
2 - [Comic] Arrowsmith
Dieser Comic von Kurt Busiek und Carlos Pacheco war eigentlich als Serie konzipiert, brachte es aber nur auf insgesamt sechs Hefte, die auch als Sammelband erschienen sind. In der geschilderten Parallelwelt ist Magie alltäglich und hat großen Einfluss auf die Art und Weise, wie der gerade ausgebrochene Große Krieg im Jahre 1915 ausgetragen wird. Das übermächtige Preussen hat bereits Lothringen überrannt und steht kurz vor Galliens Hauptstadt Paris. Auf dem Weg zum Sieg schrecken die Preussen vor nichts zurück: So leben ihre Feinde beispielsweise in ständiger Angst vor Dem Nebel, der sie in rasenden Zorn aufeinander losgehen lässt, nur damit sie sich schließlich als Zombies den Reihen Preussens anschliessen müssen.
Nur wenige auf der anderen Seite des Pazifiks sind gewillt, in diesen Konflikt einzugreifen, auch wenn sie täglich mit aus der Alten Welt flüchtenden Trollen, Zwergen oder Orks konfrontiert werden. Der junge Fletcher Arrowsmith gehört zu den wenigen, die mit Hilfe eines kleinen Drachen und magietransferierendem Orichalkum die Kunst der Drachenflieger erlernen und in Europa eingreifen - doch die Greuel des Krieges gehen auch an ihm nicht vorbei.
Diese einzigartige Mischung steckt voller Ideen, wie man sie aus der Fantastik zwar hinlänglich kennt, verbindet sie aber grandios mit der historischen Tragik des Großen Krieges - und macht es für mich somit zu einer grossartigen Vorlage fürs Rollenspiel.
3 - [Comicserie] Hellboy / B.P.R.D.
Mike Mignolas Universum um den den unverwüstlichen Hellboy und seine Kameraden begeistern das Publikum seit über 20 Jahren und haben sogar schon ihren Weg auf die Leinwand gefunden.
Kurz vor Kriegsende beschwören die Nazis mit Hilfe des wiederauferstandenen Rasputin den Dämon Anung Un Rama, auf dass er das Ende der Welt herbeiführen möge. Stattdessen stoppt die Amerikaner das Ritual, und die kleine Kreatur kommt als Hellboy in die Obhut von Professor Bruttenholm. Im Bureau for Paranormal Research and Defense kämpft er seitdem gegen die mythischen Kreaturen, die abseits unseres Alltags in den Schatten lauern.
Insbesondere die eigenständige Ablegerserie B.P.R.D. ist für Rollenspiel interessant, verzichtet sie doch auf die zentrale Führerfigur von Hellboy und konzentriert sich mehr auf die Arbeit des verbleibenden Teams. Nun gab es bereits 2002 eine offizielle Rollenspiellizenz zu Hellboy für Gurps, die aber zum einen schon lange vom Markt verschwunden ist, zum anderen ist das klobige Gurps auch nicht jedermanns Sache. Wie mir aber der in zahlreichen Rollenspielsystemen umtriebige Zornhau unlängst in GooglePlus versicherte, ist das Spiel als Agenten des B.P.R.D auch problemlos mit dem Fate-Ableger Atomic Robo spielbar.
4) [Romanserie] Zamonien
Wer hätte gedacht, dass der Verfasser von Anleitungen zur Behindertenverhöhnung oder Hostienschändung einmal zu einem vom Feuilleton verehrten Autoren aufsteigen würde? Nach dem Kniff, mit der durch das Kinderfernsehen bekannten Figur des Käpt’n Blaubär nebenbei seinen fantastischen Kontinent Zamonien einzuführen, hat Walter Moers in seinen Folgeromanen diesen Schauplatz konsequent in vielen Facetten ausgearbeitet. Wen reizt da nicht, einmal selbst als Lügengladiator in Atlantis aufzutreten, sich in der Nachtschule fortzubilden oder die Katakomben von Buchhaim nach wertvollen Büchern zu durchforsten?
Den Gedanken, diese Welt auch einmal zu bespielen, haben in der Vergangenheit natürlich schon andere gehabt – so hat PiHalbe erfolgreich eine Kampagne darin absolviert, und ich selbst habe mir vor geraumer Zeit auch meine eigenen Gedanken zu den Möglichkeiten zur Bücherjagd in Buchhaim gemacht.
5 - [Film] Labyrinth
Jim Hensons letzter Kinofilm von 1986 strotzt nur so vor vielseitigen Ideen. Ist die eigentliche Handlung zwar eine Metapher für das Erwachsenwerden der Protagonistin Sarah (Jennifer Connelly), die ihren von den Goblins entführten Bruder aus dem Zentrum des namensgebenden Labyrinths befreien muss, so kann eben dieser Irrgarten für zahlreiche Sitzungen als Schauplatz im Rollenspiel herhalten. Dabei reicht schon, dass alle Spieler einige der unzähligen Goblins verkörpern. Der allein wegen seiner empfehlenswerte Bildband „The Goblins of the Labyrinth“ des Illustrators Brian Froud, der diese Kreaturen samt ihrer Eigenheiten beschreibt, kann dabei zur zusätzlichen Inspiration dienen.
6 - [Comicserie] Donjon
Im Mittelpunkt dieses Comics des Autors Joan Sfar und diverser Illustration steht der namensgebende Donjon: Ein florierendes Verlies voller Monster und Schätze, dessen Geschäftsmodell es ist, übermütigen Abenteurern ihr Hab und Gut abzuknöpfen. Die Serie betrachtet Entstehung, Blütezeit und Zerfall des Donjon und der Welt darum in den (nominell) auf 300 Bände angelegten drei Epochen „Morgengrauen“, „Zenit“ und „Abenddämmerung“. Im Kern eigentlich eine urkomische Parodie auf Fantasywelten, erschafft „Donjon“ dabei dennoch eine Welt, die in jeder Epoche vor originellen Ideen strotzt. Wenn man gesehen hat, wie die Hauptfigur Herbert in Band 1 nach langer Übung nur mit einer Feder meisterlich seine (grünen) Gegner zu besiegen vermag, reizt das sofort zur Umsetzung am Spieltisch.
7 - [Comicserie] Fables
Diese gefeierte Comicserie des Autor-Zeichner-Duos Bill Willingham und Mark Buckingham berichtet von den Bewohnern der Märchenwelt, die auf der Flucht vor dem schlicht als „The Adversary“ betitelten Eroberer ein neues Heim im heutigen New York gefunden haben. Figuren in Tiergestalt fristen ihr Dasein geschützt vor den Blicken der Menschen auf einer abgelegenen Farm. Die Serie spielt gekonnt mit dem Naturell der einzelnen Märchengestalten und den sich daraus ergebenden Konflikten, auf der anderen beleuchtet sie den Krieg gegen den Eroberer ihrer alten Heimat und dessen Nachspiel – beides Aspekte, die sicher auch am heimischen Spieltisch interessant wären. Die preisgekrönte Serie erzählt inzwischen auch als Videospiel neue Abenteuer, zudem ist seit geraumer Zeit eine Adaption für das Fernsehen im Gespräch.
8 - [Film] Die Monster AG
Mein drittliebster Film von Pixar (übertroffen nur von WALL-E und Die Unglaublichen) bietet zwar ein Happy End, dennoch sollte das grenzenlose Potential durch die unzähligen Schranktür-Portale am Spieltisch für Abwechslung sorgen. Alltägliche Motive wie eben die erbarmungslose Bürokratie, Energiekrise (oder – überfluss?) oder die Rivalität zwischen den erfolgreichsten Erschreckern, entschuldigung, Komikern können hingegen bodenständige Elemente ins Spiel bringen.
Mit Monsters and Other Childish Things scheint mir auch ein Regelsystem vorzuliegen, das mit wenig Adaptionsarbeit die Vielfalt der dargestellten Monster abbilden kann.
9 - [Roman] Ready Player One
In diesem Romandebüt von Ernest Cline ist die gesamte Welt des Jahres 2044 über die virtuelle Welt OASIS vernetzt. Neben normalen (wörtlich zu nehmenden) Chaträumen und virtuellen Klassenräumen beinhaltet das System auch sämtliche Lizenzen an populären fiktiven Welten wie Mittelerde, Narnia ,Star Wars, Star Trek, Firefly… - welches Universum man auch mag, die OASIS bietet es an. Die reale Welt hingegen steht am Abgrund: Seit Jahren herrscht eine Energiekrise, die Unterschicht haust in in die Höhe wuchernden Trailerparks, und Schulden für exzessive Stunden Online führen zu Leibeigenschaft im Servicecenter der Konzerne.
Die eigentliche Handlung des Buchs dreht sich um die Suche nach diversen Easter Eggs, die der verstorbene Erfinder der OASIS in dieser riesigen Welt versteckt hat und die hemmungslos in Nostalgie an die 1980er Jahre schwelgen. Wer diese zuerst entdeckt und die damit verbundenen Herausforderungen meistert, wird zum Alleinerben der OASIS.
Nun sind diverse der genannten Lizenzsettings schon für sich allein mit Rollenspiellizenzen versehen, aber ein Crossover mag seinen eigenen Reiz besitzen. Interessanter hingegen finde ich die Idee nach der Jagd nach den Easter Eggs, die ein findiger SL auf seine eigene Weise umsetzen kann. Und die (im Roman leider nur am Rand vorkommende) Dystopie in der realen Welt verspricht auch ausreichend Potential für spannende Abenteuer.
10 - [Film] Tron
Natürlich ist dieser wegweisende Film um den Programmierer Flynn, der ins Innere eines Computers gesogen wird, eher eine Vorlage für Video- denn als für Rollenspiele. Dennoch beinhaltet das Drehbuch zahlreiche ausbaufähige Elemente, die der maue Nachfolger Tron Legacy schmerzlich vernachlässigt: So kann die Personifizierung eines Programms mit all seinen limitierten und spezialisierten Fähigkeiten in einem Avatar für interessante Charaktere sorgen, auch die Umgebung mit Gebäuden als Abbild von Schnittstellen, Datenleitungen und Speicherelementen bieten Potential. Im faszinierendsten finde ich aber die gottähnliche Verehrung, die die Programme ihren Usern und Programmierern entgegenbringen. Diesen religiösen Elemente lassen sich bestimmt in spannende Abenteuer umwandeln.
Dieser Artikel ist Teil des Karnevals der Rollenspielblogs im Monat Februar über - sehr frei formuliert und damit außerordentlich erfolgreich - 10 Dinge, die... . Die Moderation liegt bei Greifenklaue, alle Beiträge des Monats werden zudem in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs aufgelistet.
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1 Kommentar:
Tolle Sachen dabei! Donjon, Zamonien, Labyrinth (mein erster oder zweiter Kinofilm), Hellboy ... Ja, gerade auch BUAP ist vermutlich gut geeignet. Die Lauschhörspiele taugen auch ordentlich was!
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