Die Gefangenen von Kaer Cadena

28.02.2022

Schon zu Beginn der Geißel in der Welt von Earthdawn vermochte ein meisterhafter Geisterbeschwörer den unersättlichen Schrecken Vielrachen in einem begonnenen Kaer einsperren. Seitdem harren Gefangener und Wärter gemeinsam in ihrem Karzer aus, das nur einer von ihnen verlassen wird.

Der blutige Bau von Kaer Cadena
Die Bewohner der kleinen Stadt Caldena, vor der Geißel malerisch an den Osthängen der südlichen Ausläufer der Caucaviaberge gelegen, bereitete sich schon früh auf den Bau seines Kaers vor. Bald wurde eine geeignete Höhle in dem Felsmassiv ausgemacht, die sich für die Errichtung einer Zuflucht eignete. Weit kamen die Bauarbeiten jedoch nie: Wenige Monate nach Beginn verschwanden regelmäßig Arbeiter in der Kaverne. Suchtrupps fanden nur getrocknete Blutlachen und wenige Fetzen verrottenden Fleisches vor, vom Rest fehlte jede Spur.

Erst die Nachforschungen des erfahrenen T'skrang Shutunn, eines Meisters in seiner Disziplin des Geisterbeschwörers, konnten die Ursache ausmachen. Inzwischen war das Magieniveau in Barsaive groß genug geworden, dass sich der Schrecken Wy'lr'chyn, bald nur noch bekannt als Vielrachen, dort in der Höhle von Kaer Caldena manifestieren konnte. Diese Wesenheit bestand nur aus einer unüberschaubaren Vielzahl von Mäulern, die jedes in abgrundtiefer Schwärze mündeten und gefräßig alles Lebende verschlangen, das ihren Weg kreuzte. Nur Mund oder Maul des Opfers blieben übrig und wurden dem Schrecken einverleibt, der so mit jedem Mahl aufs Neue wuchs.


Knochenkreise
Shutunn war schon bei Beginn des Kaerbaus ein betagter und weithin verehrter Meister seiner Disziplin. Während sich die Bauarbeiter nicht mehr in die Höhle trauten, machte sich der T'skrang daran, Vielrachen am Wachsen zu hindern und den Schrecken am Ausbruch aus dem Kaer zu hindern. Mit Hilfe modifzierter Knochenkreise und zahlreichen Knochengeistern vermochte der Geisterbeschwörer, Vielrachen immer wieder in ausgeklügelte Fallen zu locken. Jedes Mal entriß ein Knochenkreis dem Schrecken einen kleinen Teil, verkleinerte ihn, machte ihn schwächer. Doch sehr Shutunn Vielrachen in mehr und mehr Fragmente zerlegte, so vermochte er es doch nicht, diese zu vernichten.

So fasste Shutunn schließlich einen folgenschweren Entschluss: Wenn es ihm schon nicht gelingen könnte, den Schrecken zu zerstören, so würde er über die Plage auf die gefangenen Fragmente aufpassen, damit dieser nie Barsaive verheeren könne. Die Bewohner von Cadena leisteten keinen Widerstand; zu sehr hatten die blutigen Ereignisse in der Höhle sie verschreckt, so dass sie sich einer anderen im Bau befindlichen Zuflucht anschlossen. Der Magier, der Kaer Caldena mit seinen Bewohnern hätte versiegeln und mit den Riten des Schutzes und des Übergangs hätte versehen sollen, tat dies nun nur für zwei Insassen, bevor er mit den Stadtbewohnern weiterzog.

Versteckt in seinen Schutzzaubern ist aber auch eine Warnung, die sich nur Namensgebern offenbart, die den Zauber der Kaerzeichen auf den schützenden Fels sprechen. Dann erscheint ihnen eine Nachricht zur Warnung, dass hier ein altes Böses eingesperrt und bewacht ist, dass man nicht hervorlocken dürfe.


Zwei Gefangene
Dank des Geisterbeschwörer-Zaubers der Ewigen Jugend harrt Shutunn seit über 700 Jahren zusammen mit den Fragmenten von Vielrachen in dem versiegelten Kaer aus. Die Lebenskraft für sein anhaltendes Ritual entnimmt er aus den wenigen Kreaturen, die in den Höhlen vor der Versiegelung heimisch gewesen sind, und die ihm auch als Nahrung dienen. Regelmäßig zieht Shutunn seine Existenz ein weiteres Mal in die Länge, und obwohl ihn immer wieder Momente von Einsamkeit und Überdruß überkommen, bleibt er standhaft bei seiner Pflicht, den gespaltenen Schrecken zu bewachen.

So wandert der Geisterbeschwörer in einem festen durch die Kavernen von Knochenkreis zu Knochenkreis, prüft deren Magie, erneuert ihre astrale Kraft, und zieht zum nächsten weiter. In der Ewigkeit seiner selbstgewählten Gefangenschaft ist nur der Schrecken Vielrachen der einzige Gesprächspartner des T'skrang, seinen Wärter mal wild verfluchend, mal anflehend, mal sanft umsäuselnd.

Shutunn hat über die Jahrhunderte seiner Konversation Buch geführt über die Gespräche und die Erkenntnisse, die er aus seinem Gefangenen und dessen Natur ziehen konnte. Inzwischen kennt der Geisterbeschwörer jede einzelne der Stimmen, mit denen die zahllosen Mäuler des Schreckens sprechen und glaubt auch, wem diese einmal gehört haben mag. Die Notizen über die Gespräche mit der Kreatur versprechen einen einmaligen Erkenntnisgewinn über die Natur der Plage und der Schrecken, doch nicht jeder Geist wird diesem gewachsen sein.

So harrt Shutunn weiter geduldig aus und hat die elementare Uhr aus Erde und Wasser genau im Blick, die das endgültige Abschwellen der Magie und das Verschwinden von Vielrachen zurück in die fernen Tiefen des Astralraums ankündigt. Seitdem diese aber vor rund hundert Jahren stehengeblieben ist, fügt sich der Geisterbeschwörer weiter einem ungewissen Schicksal und kämpft weiter gegen den zunehmenden Verdruss eines Lebens, das schon vor Jahrhunderten hätte beendet sein sollen.

Der Schrecken Wy'lr'chyn sucht jeden Tag aufs Neue nach einer Schwäche in seinen Bannkreisen oder im Geist seines Wärters. Nachdem Vielrachen die Zerstörungsorgie während der Geißel verwehrt wurde, brennt der Schrecken immer noch darauf, seiner Gefangenschaft zu entfliehen und in einer Schneise der Verwüstung seiner Gier freien Lauf zu lassen. So ist kaum vorherzusehen, wie die Geschichte der beiden enden mag:



Dieser Artikel ist ein Beitrag zum Karneval der Rollenspielblogs im Januar/Februar 2022 mit dem Thema "Gefängnisse". Die Moderation liegt bei mir auf Spiele im Kopf, die Artikel dazu werden in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs gesammelt.


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