Die Inspiration: Asche zu Edelsteinen
Es schon etliche Jahre her, dass ich über eine Anzeige für eine sogenannte Diamantbestattung gestolpert bin. Die Idee dahinter ist, dass die verbrannten sterblichen Überreste eines Verstorbenen nicht in einer Urne oder ähnlichem beigesetzt werden. Stattdessen soll dieser Kohlenstoff unter hohem Druck zu einem künstlichen Edelstein zusammengepresst werden. In Deutschland ist dieses Verfahren verboten und wird laut Wikipedia auch von internationalen und deutschen Verbänden kritisiert.
Mir soll allerdings egal sein, ob jemand sich seine verstorbenen Angehörigen als Schmuck um den Hals hängen oder an den Finger stecken will. Vielmehr schoss mir die Idee durch den Kopf, ob so ein persönliches Artefakt in der Fantasy nicht noch mehr verkörpern könnte als nur sterbliche Überreste. Was, wenn auch die Persönlichkeit in so einem Stein erhalten bliebe und für andere Zwecke nutzbar wäre? Da ich nebenbei auch über einen Magiebaukasten (basierend auf älteren, gescheiterten Ideen) nachdachte, das Zauberei jedermann zugänglich machen soll, schien sich hier ein perfekter Aufhänger gefunden zu haben. An dieser Stelle will ich aber nur an das Konzept der Seelensteinmagie selbst eingehen, da ich es nie in konkrete Regeln gegossen habe.
Die Seelenkraft der Verstorbenen
In einem uralten überlieferten Begräbnisritus werden die sterblichen Überreste Verstobener zu Seelensteinen gepresst, die die Essenz des Verblichenen beinhalten. So wie sich die Persönlichkeit eines Individuums schon zu Lebzeiten gewisse Charakterzüge auszeichnet, hat auch der daraus gewonnene Stein bestimmte Eigenschaften, die ihn für eine gewisse Spielart der Magie prädestinieren. Zumeist ist eine der folgenden Ausprägungen in dem Seelenstein dominant. Gelehrte unterscheiden dabei zwischen Techniken, die vorgeben, wie etwas verändert wird, und Formen, die bestimmen, was verändert wird. So wie es auch unter den Persönlichkeitsmerkmalen gegensätzliche Charakterzüge gibt, so kennt man auch bei den Seelensteinen gegensätzliche Paare:
Die Techniken
- Struktur: Formen - Deformieren (Errichten, Gestaltung, Transmutation, Verfall, etc.)
- Schöpfung: Erschaffen - Zerstören (Schöpfung aus dem Nichts, vernichtender Schaden, etc.)
- Kraft: Stärken - Schwächen (Heilung, Attribute ändern, Kraftlosigkeit, etc.)
- Bewegung: Bewegen/Beschleunigen - Erstarren/Verlangsamen (Teleportation, Fesseln, Beschwören, etc.)
- Analyse: Erkennen - Verbergen (Unsichtbarkeit, Hellsicht, etc.)
Die Formen
- Unbelebtes: Energie (Feuer, Licht, Blitz, etc.) - Unbelebte Materie (Elemente, etc.)
- Belebtes: Geist (Denken, Sinne) – Belebte Materie (Körper, Tiere, Pflanzen, etc.)
Grundsätzlich hat jeder Seelenstein die Affinität zu einem solchen Paar. So ist es auch erst der genaue Schliff eines Seelensteins, der einen Aspekt betont und den anderen verblassen lässt. Ungeschliffene Steine können gleichwohl für beide Ausprägungen eines Paars genutzt werden, es ist allerdings schwer, dann ihr volles Potential auszuschöpfen. Hybridschliffe hingegen erlauben die Nutzung beider Seiten mit durchschnittlicher Kraft und Schwierigkeit. Letztlich ermöglichen spezielle Schliffe die mühelose Nutzung als ausschließlich einer Ausprägung mit starker Kraft. Es ist auch möglich, die Kraft mehrerer Steine zu verbinden und so einen Aspekt auf ein Niveau zu erhöhen, das den einzelnen Steinen nicht möglich wäre. Dies erhöht natürlich die Anwendungsschwierigkeit.
Seelensteine und ihr Einfluss auf die Kultur
In den meisten Fantasywelten ist Zauberei ein Talent, das nicht jedem in die Wiege gelegt wird und oft Jahre disziplinierten Studiums voraussetzt. Die Seelensteine hingegen sind als einfache, wenn auch machtvolle Gegenstände jedem zugänglich. Was bedeutet das aber für eine Gesellschaft, in der jeder nur aufgrund seiner Besitztümer große arkane Macht einzusetzen vermag?
Die sicherlich größte Gefahr ist, dass die entsprechende Macht schnell in den Händen weniger konzentriert wird. Wer Seelensteine besitzt, wird dieses Eigentum hartnäckig verteidigen und wahrscheinlich sogar versuchen, es noch zu mehren – und wie könnten andere, die über weniger oder schwächere Steine verfügen, ihm auch widerstehen? So ergäbe sich eine Gesellschaft von einigen wenigen, fast unbesiegbaren Herrschern oder Kriegsfürsten. Ähnlich dem Lehnswesen könnte ein solcher Herrscher Teile seines magischen Schatzes an treue Untergebene übergeben – stets abwägen müssend, ob dieser Vasall nicht zu sehr an Macht gewinnt und zu einem Konkurrenten wird.
Natürlich gibt es aber auch Variationen: Der Besitz eines Seelensteins muss nicht unbedingt den uneingeschränkten Zugriff auf dessen Kräfte bedeuten, sondern kann an weitere Bedingungen geknüpft sein. So wie bei klassischen Zauberern muss vielleicht auch die Anwendung eines Steins mehr oder weniger mühsam erlernt werden, oder aber (und da hätten wir wieder eine Parallele zu Diablo) ein Seelenstein muss aufwändig in einen normalen Gegenstand eingearbeitet werden. Gerade letztere Option würde beträchtlichen sozialen Status für die Handwerker bedeuten, die solche Fertigkeiten besitzen.
Auf die Spitze treiben kann man diesen Gedanken, wenn man die Idee weiterspinnt, dass die Anwendung eines Edelsteins durch seinen Schliff vorgegeben wird. Gerade dieses Kunsthandwerk, die vielleicht sogar empfindlichen Seelensteine in eine nutzbare Form zu bringen, bedeutete zwar keine direkte weltliche Macht für die Edelsteinschleifer, allerdings wäre jeder von ihren Fertigkeiten abhängig.
Vielleicht ist aber auch wegen der ungeheuren Macht, die ein Seelenstein verleiht, der Zugriff auf diese streng reglementiert. Eine entsprechende Organisation mag sich als erhaben und integer erweisen, oder bei genauerem Hinsehen als der wahre Strippenzieher im Hintergrund, der seine Macht nur anderen vorenthalten möchte.
Zuletzt stellt sich aber auch folgende übergreifende Frage: Warum wurde das Ritual der Seelensteine überhaupt entwickelt, und von wem? War es pure Machtgier, sind die Steine ein Gefängnis für gefährliche Seelen, oder ist dies tatsächlich ein bewährtes Begräbnisritual, das den Verstorbenen die verdiente Ruhe finden lässt?
Tatsächlich existiert das Konzept der Seelensteine keineswegs isoliert in meinen Festplattennotizen, sondern ist Teil einer umfassenderen Weltenschöpfung. Da ich dort aber diverse Fantasytropen durch neue Blickwinkel umzuinterpretieren suche, würde eine genauere Abhandlung darüber den Umfang dieses Artikels gnadenlos sprengen.
Dieser Artikel ist ein Beitrag zum Karneval der Rollenspielblogs im Mai 2019 mit dem Thema "Systeme der Magie". Die Moderation liegt bei mir auf Spiele im Kopf, alle Beiträge des Monats werden zudem in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs aufgelistet.
Illustrationen
Kósa Zsolt: "Citrine 005", "Infinity Citrine", "Citrine 004", "Tanzanite 002", "Infinity Amethyst"
AngelGanev: "Crystal Study 2", "Crystal Study 1"
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