Das endlose Gefängnis

31.01.2022

 In einer namenlosen Fantasywelt entledigt sich die Gerichtsbarkeit ihrer Verurteilten, indem sie diese in ein Loch ohne Wiederkehr hinabwirft. Dieses Gefängnis geht aber tiefer, als man an der Oberfläche ahnt.


Gefängnis nach Gefängnis nach Gefängnis...
In ener relativ magie-armen Welt auf dem Stand des generischen europäischen Mittelaltersgibt es das alte Gefängnis für diejenigen, die man verschwinden lassen will - ein schlichtes Loch im Boden auf der Spitze eines Hügels. In der Tiefe, etwa fünfzig Meter hinab, ist nur zu erkennen, dass dort unten Wasser zu sein scheint. Die Gefangenen, die hier hineingeworfen werden, bleiben verschwunden. Nie hat jemand einen Weg zurück hinauf gefunden.

Tatsächlich landen die Verurteilten aber einer weitläufigen Finsternis, in der sich über lange Zeit eine kultivierte Ackerbaugesellschaft herausgebildet hat, die dort Pilze und andere zähe Nahrungsmittel anbaut. Die Ausmaße dieser feudalen Gesellschaft spotten dem schmalen Schacht, den man von oben erblicken konnte, Hohn. Auch scheint die Zeit hier anders zu verlaufen als in der Oberwelt, denn unter den Bewohnern der Höhlen finden sich auch Verurteilte, die bereits vor Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten hinabgestoßen wurden.

Und auch wie in der Oberwelt gibt es auch hier ein Loch, in das Störenfriede hinabgestoßen werden. Mit guter Ausrüstung, etwa einem Teleskop, vermag man zu erkennen, dass sich auch auf dieser dritten Ebene eine eigene Welt befindet, in der sich nicht nur die Verstoßenen eine neue Existenz aufgebaut haben, sondern auch Kreaturen, die man eigentlich im Reich der Fabeln verorten würde. Nur schemenhaft erahnt man noch ein weiteres Loch, unter dem sich - exzellentes Sichtgerät vorausgesetzt - eine weitere Ebene befindet, und noch eine, und noch eine.

In keiner Ebene jedoch lässt sich ein Weg erblicken, wieder zurück nach oben zu kommen; stets führt der nächste Schritt nur unwiederruflich abwärts. Nur - auch hier ein ausgezeichnetes Teleskop vorausgesetzt - in vielen Kilometern Entfernung lässt sich eine Wendeltreppe ausmachen, die von irgendwo an der Oberfläche bis in die zweite Unterebene führt und die eine verschlossene Tür hat. Gegen diese Rennen Horden an nur schemenhaft zu erkennenden Wesen an, um sie aufzubrechen; vielleicht seit Jahrzehnten, Jahrhunderten oder Jahrtausenden.

 



Die Natur des Gefängnisses
Die ineinander verschachtelten Gefängnisse sind eindeutig magisch-göttlicher Natur, von der insbesondere die Bewohner der obersten Ebene keine Ahnung haben. Die Hierarchie der Ebenen kann je nach Bedarf der zu erlebenden Abenteuer jeweils neue, eigenständige Kulturen und Werte verkörpern, oder aber auch einen stetigen moralischen Abstieg.

Da die Löcher/Oublietten stets nur verwendet werden, um Störenfriede und Missetäter zu entsorgen, kann die absteigende Zahl der Ebenen tatsächlich ein Purgatorium darstellen, die niedere Motive nach unten durchreicht, bis ganz am Ende bei der beschriebenen Tür nur noch primitivste Urinstinkte verbleiben, die in animalischem Wahn ihren Weg zurück in die zivilisierte Welt suchen.
Gleichzeitig wirft dies aber auch die Frage auf, ob die oberste Ebene wirklich die oberste ist. Sollte sie es nicht sein, so implizierte diese, dass sich darüber eine Welt moralischer Reinheit und Güte finden muss - etwas, das man vielleicht als göttlich-überirdisch bezeichnen möchte, so dass der Verstoß von dieser Ebene hinab vielleicht auch eine Variante des Sündenfalls analog zum Sturz des Erzengels Luzifer darstellt und den Verlust des göttlichen Funkens darstellt.

Alternativ dazu kann aber auch jede Ebene eine eigene, in sich funktionierende Gesellschaft mit eigenen moralischen Vorstellungen gebildet haben, so dass sich Abstufungen von gut, böse und den Schattierungen dazwischen in unvorhersehbarer Folge vorfinden. Was in der einen Gesellschaft verwerflich erscheinen mag, kann in der Gemeinschaft darunter eine Tugend sein und in der Ebene wiederum darunter in der Ethik keine Rolle spielen. Da wie eingangs erwähnt die Zeit auch zwischen den Ebenen anders verläuft, können diese auch unterschiedlich weit in ihrer jeweiligen Entwicklung sein. Zudem mag es Gesellschaften geben, in die bereits mehrere Generationen hineingeboren wurden, ohne je vom Stoß in die Tiefe ihrer Vorfahren zu wissen.

In der ursprünglichen Idee zu dieser Gefängniswelt waren ganz, ganz unten die Riesen, die am Anfang der Zeit von den Göttern da hineingeworfen wurden, als die Götter die Welt für sich in Besitz genommen haben.


Aufgaben für Abenteurer
Die Abenteuer müssen zwingend eine Information bekommen, die jemand hatte, der vor 50 Jahren als so ziemlich einer der letzten da hineingeworfen wurde, weil er einen Adelsaufstand anzetteln wollte, obwohl er zur den engen Vertrauten des Königs gehörte. Der Gefangene hat aber in der ersten Gefängnisebene vor 50 Jahren die Gesellschaft von Kriminellen aufgeräumt und eine Gesellschaft gegründet, in der die zivilierten Insassen friedlich leben.
Der Adlige ist es dann auch, der den Abenteurern die Oubliette dieser Ebene und die Welt darunter zeigt, so dass die Abenteurer langsam der Natur des Gefängnisses gewahr werden und überlegen müssen, ob sie in dieser Welt bleiben, weiter hinabsteigen oder einen Weg zurück suchen wollen.

Denkbar ist aber auch, dass sich die Hinweise auf die Verschachtelung der Gefängniswelten bereits nach langer Recherche auf der obersten Ebene finden. So entdecken die Abenteurer einen Hinweis auf einen Geheimgang zu einer Empore in der Oubliette (von der oben ja keiner weiß, wie groß sie ist), von der ursprünglich Adlige dem Elend zugesehen haben, das sich unter ihnen zutrug, weil es natürlich eine Gesellschaft von Kriminellen war, die ihrer Meinung nach dort lebte. Später haben Wissenschaftler die Empore genutzt, um Theorien zu entwerfen, was den Menschen ausmacht, wenn es keine Gesetze gibt. Derartige philosophische Gedanken könnten auch in der Zeit des Abenteuers noch den akademischen Dialog prägen und die Abenteurer wären schlicht Versuchskaninchen, die unter falschen Vorzeichen - etwa einem sicheren Weg zurück - in die Tiefe geschickt werden.


Ehre wem Ehre gebührt
Dieses Szenario stammt von einem alten Rollenspielkumpan aus vergangenen Gymnasiumstagen. Ich habe lediglich den anregenden Mailaustausch zu dieser Idee konsolidiert und behutsam ergänzt.

 


Dieser Artikel ist ein Beitrag zum Karneval der Rollenspielblogs im Januar/Februar 2022 mit dem Thema "Gefängnisse". Die Moderation liegt bei mir auf Spiele im Kopf, die Artikel dazu werden in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs gesammelt.


1 Kommentar:

Andreas (RPGnosis) hat gesagt…

Ziemlich coole Idee... :)

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