Earthdawn Kaers – Hinter den Kulissen des Quellenbands

31.08.2020

Wer diesem Blog auch nur sporadisch folgt, dem wird meine Leidenschaft für die Welt von Earthdawn nicht entgangen sein. Mit dem im September 2020 nach langer Ankündigung endlich erscheinenden Quellenbuch „Kaers“ hatte ich die Möglichkeit, selbst eine offiziellen Beitrag dazu zu leisten. Anlass genug, einmal einen genaueren Blick auf die Entstehung des Bandes zu werfen. 

 

Vor einigen Jahren schrieb mich der damalige Alles-außer-DSA-Redakteur von Ulisses Michael Mingers an, da man ein originär deutsches Earthdawn Quellenbuch zu den unterirdischen Zufluchten der Kaers plane. Ein damals erschienener Blogbeitrag würd gut zu diesem Band passen; und vielleicht wollte ich ja noch mehr dazu beitragen. Letztendlich bot ich an, mich gerne an dem gesamten Buch mit geplanten 300.000 Zeichen zu versuchen.
Der dreigeteilte Inhalt von Earthdawn-typischem Hintergrundmaterial, Spielwerten und ausführlichen Beispielkaers war schnell umrissen. Die ersten Details ging ich so an, wie wohl auch die Band Monster Magnet Songtitel festlegt: Überlebensgroß. Bei Ulisses schien ich damit auch einen Nerv getroffen zu haben, denn die später entstandene Outline wurde mit nur zwei kleinen Ergänzungen angenommen.

 




Beim letztlichen Schreiben muss ich gestehen, dass ich an der Verzögerung des Bandes nicht ganz unschuldig bin: Waren die ersten beiden Kapitel mit Spielmaterial und Beispielkaers im darauffolgenden Sommer bereits abgegeben, ließ mich ausufernde Projektarbeit und Schwierigkeiten beim richtigen Präsentationsstil den letzten Teil erst über ein halbes Jahr später angehen.

Nun hat Ulisses auch bereits in einem Werkstattbericht das baldige Erscheinen des Kaers-Quellenbands angekündigt. Werfen wir also einen genaueren Blick auf den Klappentext und schauen, was genau dahintersteckt.


Jahrhundertelang waren die namensgebenden Völker gezwungen in unterirdischen Kaers auszuharren, während Dämonen ihre Welt verwüsteten. Doch nicht alle dieser Zufluchten wurden nach dem Ende der Plage wieder geöffnet, um die verwüstete Außenwelt zurückzuerobern. Abenteurer und Adepten sind unermüdlich auf der Suche, diese verlorenen Zeugen des alten Barsaive ausfindig zu machen. Manche Kaers beherbergen noch immer die Namensgeber, die im Verborgenen auf das Verschwinden der Dämonen warten, andere fielen gräulicher Verwüstung zum Opfer. Alle sind jedoch Horte vergessenen Wissens oder mächtiger Schätze, und alle sind sie für sich einzigartig.

Das Kaer-Quellenbuch bietet dir vielfältige Möglichkeiten für Abenteuer und Kampagnen:

• Ein ausführlicher Einblick in das Wesen der Kaers: Von der Konstruktion und Struktur bis zum Alltagsleben ihrer Bewohner



Wie jedes Earthdawn-Buch beginnt auch der Kaer-Band mit Hintergrundbeschreibungen aus Sicht der Bewohner von Barsaive. Der Inhalt dieses „Handbuchs des Kaer-Erforschers“ lag auch schon seit dem ersten Exposé und mit der detaillierteren Outline schon lange und in allen Einzelheiten fest. Immerhin gab es etliche Details, die hier sowohl aus Sicht des schlichten Alltags, aber auch der Möglichkeiten einer hochmagischen Welt beleuchtet werden mussten.
Wie fand der eigentliche Bau der Kaers statt, welche innere Struktur mussten diese haben? Wie konnte die Nahrungsversorgung an einem versiegelten gesichert werden, und wie würde die derart eingeschlossene Gemeinschaft die Jahrhunderte überstehen? Wie gestaltete sich ihr Alltag, wie hielt sie den Lauf der Jahre für die Nachwelt fest, welche Rollen spielten Adepten oder andere Führungspersönlichkeiten?

Dennoch fiel das Schreiben dieses Kapitels mir am schwersten, und so wurde schließlich in einer Hauruckaktion innerhalb von zwei Monaten vollendet, nachdem die anderen beiden Kapitel längst abgegeben waren. Denn lange fand ich einfach keinen Zugang zur Perspektive und dem Präsentationsstil des Kapitels.
So nutzt Earthdawn in seinen Hintergrundbeschreibungen ja sehr gerne Gelehrte, die zu ihrem Fachgebiet verschiedene Quellen und Zeugenberichte zusammengetragen haben, die so über verschiedene Perspektiven ein Gesamtbild ergeben. Zuerst wollte ich diesen Ansatz auch für das Kaer-Handbuch nutzen, nahm aber schnell wieder Abstand davon. Zu viele ganz verschiedene Themen würde dieses Kapitel ansprechen, so dass personalisierte Berichte zu einem Wust von verschiedenen Quellen und Perspektiven geführt hätten, der der eigentlichen Informationsvermittlung nur im Weg gestanden hätte.

 


So entschloss ich mich, den nüchternen Sachbuchton zu verwenden, den man bei Earthdawn beispielsweise in der Beschreibung Barsaives im Spielleiterhandbuch findet. Die persönliche Note hingegen sollte von den Kommentaren der drei Adepten kommen, die als die barsaivschen Autoren des „Handbuchs des Kaer-Erforschers“ vorgestellt werden: Der T’skrang-Troubadour K’shanon, die Menschen-Magierin Eidara Yittsa und der trollische Schmied Umtro Silberhorn. Nachdem der vierte in ihrer Gruppe, der Zwergenkrieger Tulmas, bei der Erkundung eines Kaers gefallen ist, wollen die drei anderen sich zur Ruhe setzen und ihre langjährige Erfahrung weitergeben. Während der Barde dabei immer wieder passende Legenden und Geschichten erwähnt, berichtet die Zauberin von spezifischen magischen Phänomenen, die ihr und ihren Gefährten begegnet sind. Der Schmied letztlich hebt Bespiele hervor, die nicht nur das Handwerk der Kaers beleuchten, sondern auch wie in der Langen Nacht eine belastbare Gemeinschaft geschaffen wurde. Viele dieser Anekdoten sind bewusst kurz gehalten und werden hoffentlich die Leser dazu anregen, diese für ihre eigenen Zwecke weiterzuspinnen und auszubauen.

Ein weiteres Problem blieb damit aber noch ungeklärt: Welchen Grund sollten die drei haben, aus barsaivscher Sicht solch ein Handbuch für andere Kaer-Erforscher zu verfassen? Ein plumper „Murder Hobo’s Guide to Kaer looting“ stand außer Frage, aber warum sollten sich erfahrene Adepten dann so detailliert mit Kaers und ihrer Vergangenheit befassen? Die Lösung präsentiert das Kaer-Quellenbuch gleich zu Anfang: Das alte Barsaive, verheert durch die Plage der Dämonen, konnte nur fortleben in der Sicherheit der Kaers, von denen auch rund hundert Jahre nach der Rückkehr an die Oberfläche noch nicht alle gefunden sind. Das Vermächtnis und die Lehren der Vergangenheit aufzuspüren, um mit ihrer Hilfe die Zukunft Barsaives zu gestalten, sollte die vornehmliche Aufgabe von Adepten sein. Das genaue Wissen um das Wesen der Kaers in all seinen Details soll als Hilfe bei der Vorbereitung auf neue Expeditionen dienen, auf dass eine Abenteurergruppe möglichst wenig unliebsame Überraschungen erleben möge. So vermögen hoffentlich andere die Mission von K’shanon, Eidara und Umtro fortzusetzen.


• Über zwei Dutzend neue Fallen, die unerwünschte Eindringlinge abhalten sollen.


Neben neuen Details zum Hintergrund von Earthdawn kommt natürlich kein Quellenbuch ohne Regelteil aus. Im Falle der Kaers war klar, dass hier vor allem neue und möglichst perfide Fallen hergehören, denn die Auflistung im Spielleiter-Handbuch ist dann doch etwas, nun ja, dürftig geraten. Neben mechanischen Fallen war die eigentliche Herausforderung, die Möglichkeiten einer hochmagischen Welt auszureizen, denn den Namensgebern von Barsaive muss doch mehr eingefallen sein als der plumpe, Schaden austeilende Kaerwächter.

Bei der ausgiebigen Lektüre der Spruchlisten – auch derer hochstufiger Adepten aus der 3. Edition, da zum damaligen Zeitpunkt das 4e-Kompendium noch nicht erschienen war – wurde ich aber schnell fündig und hatte auch eine gute Richtlinie für die Spielwerte der Fallen. Auch die grausigen Fähigkeiten der Dämonen selbst ließen sich gut zu diesem Zweck heranziehen. Tatsächlich sind am Ende sogar bei mehrmals vergleichbare magische Effekte in einer Falle zusammengeflossen. So ist beispielsweise die Antimagie-Falle formal nur ein Eintrag, kennt aber drei Varianten, die den Karmafluss behindern, die Anwendung von Talenten erschweren oder sogar Spruchmatrizen leeren.

Nicht unerwähnt soll auch die kleine Auswahl an gefährlicher Flora, denn für Kaers ohne kundige Magier oder Ingenieure war es mitunter am einfachsten, ihre Zugänge mit sporenschleudernden Pilzen oder giftigen, fleischfressenden Pflanzen zu versehen.


• Umfangreiche Tabellen, um ein neues Kaer mitsamt seiner Entstehung und Geschichte zu erschaffen.


Ressourcen, um auf die Schnelle die Karte eines Kaers zu erstellen, gibt es im Netz zuhauf – dieses Thema würde das Quellenbuch nicht gesondert behandeln müssen. Nein, die Besonderheit eines jeden Kaers sollte ja eben in den Umständen seines Baus und den Widrigkeiten liegen, die es während der Plage zu erdulden hatte. Diese Geschichte sollte mittels Tabellen dynamisch erschaffen werden können.

Im Exposé beschränkte sich das noch auf grobe Ideen, dass neben generellen Merkmalen wie dem Bauort oder der Gesellschaftsstruktur insbesondere Ereignisse im Sozialleben, bei der Versorgung und zu Eindringlingen die Geschichte prägen sollten. Konkret wurde dies erst mit der Outline: Entsprechend den Ereignissen weist der Spielleiter dem Kaer den drei Attributen Gemeinschaft, Versorgung und Schutz eigene Werte zu, die sich dann im Laufe der Zeit verbessern oder verschlechtern. Ist ein Wert schließlich bei Null angekommen, ist das Kaer untergegangen.
Hier kam mir das Stufen-System von Earthdawn entgegen, da bei höheren Attributen und den sich damit ändernden Würfelkombinationen auch höhere Erwartungswerte einhergehen, so dass ich die Schwere der Ereignisse gut skalieren konnte. Artefakte plante ich zunächst als eigene Einheit, baute sich aber letztlich in die anderen Ereignisse ein, indem ihre Erschaffung durch extrem gute oder schlechte Würfelergebnisse ausgelöst wird. Das gleichzeitig erwürfelte Ereignis schließlich verrät den Grund, warum dieser Gegenstand hergestellt wurde.

Dabei alternieren die Würfe zwischen den eigentlichen Ereignissen und einer Tabelle für den Lauf der Zeit, wobei auch hier sinkende Attribute dafür sorgen, dass die Abstände zwischen den Geschehnissen immer kürzer werden – so kann ein Kaer tatsächlich schnell in eine Abwärtsspirale geraten, unaufhaltsam seinem Untergang entgegen.
Genau dieser Abstand zwischen den Ereignissen hat aber auch die meiste Feinjustierung gekostet. So wurde das allererste Beispielkaer innerhalb der kümmerlichen 23,42 Jahre seiner Existenz von ganzen 17 Schicksalsschlägen ereilt, darunter mehreren Überschwemmungen, eine Missernte und korrumpierten Questoren. Offensichtlich hatte ich die Intervalle, in denen Ereignisse auftauchen, viel zu kleingliedrig angesetzt. Insgesamt brauchte es rund vier Dutzend Testkaers, bis ich mit dem Endresultat zufrieden war und nicht nur die zeitlichen Abstände, sondern auch die Reihenfolge der Ereignisse auf den entsprechenden Tabellen sich richtig anfühlten.


• Detaillierte Beschreibungen von fünf verschollenen Kaers; manche noch bewohnt und versiegelt, andere Opfer tragischer Katastrophen.



Hintergrundfluff und Spielwerte sind schön und gut, aber ausgearbeitetes Material ermöglicht dem Leser den direkten Einsatz in seiner Spielrunde. Bei der Ideenfindung zu möglichen Kaers war mir zunächst wichtig, abseitige und ungewöhnliche Ideen zu präsentieren und das Konzept dieser unterirdischen Zufluchten wirklich auszureizen. Die Großen Drachen mögen ihre Geheimnisse zum Schutz vor der Geißel nicht an die Namensgeber weitergegeben haben, aber was wenn es einem Kaer doch gelungen wäre, drachische Magie einzusetzen? Was, wenn ein Kaer sich statt auf die theranischen Riten lieber auf das Wohlwollen der Passionen verlassen hätte? Oder wie würden Kaers damit umgehen, wenn ihre Versorgung für Grundbedürfnisse - Licht, Nahrung, Landwirtschaft - aus dem Ruder gerät und sich man ohne Möglichkeit zur Hilfe von außen daran anpassen muss?

Damit einher ging eine erste Netzrecherche über unterirdische Städte und Siedlungen, deren faszinierende Ergebnisse auch in die Planung dieser Kaers eingingen. So wurden die Felsenkirchen von Lalibela das Vorbild für den ehemaligen Wallfahrtsort Kaer Calmeca, in dem Anhänger von je zwei Passionen ihr direkt in den Fels geschlagenes Gebäude mit nur wenig Abstand zum Höhlenrand teilen.


 
Die Stufenbrunnen des indischen Subkontinents mit ihren beengten Treppenlabyrinthen flossen ein in die Gestaltung des Kaer Aschenschlund, gelegen in einer schmalen Felsspalte und Resultat des ungewöhnlichen Pakts eines jungen Drachen mit einem Dämonenjäger, sich gegenseitig während der Plage zu beschützen.

 


Andere Ideen hingegen haben es nicht über das Exposé hinaus geschafft: Aus der Optik der Höhlenburg Puxer Luegg wurde ein ehemaliger Handelsposten im Osten Barsaives, bei dem schlicht die Zugänge der Festung versiegelt wurden und weitere Tunnel in den Fels dahinter gegraben wurden. Wegen seiner abgelegenen Lage verlangte es den Bewohnern einiges an Verhandlungsgeschick, die theranischen Riten zu erstehen und fähige Architekten und Zauberer zu ihnen zu locken, so dass während der Plage auch die etablierten Handelsfamilien das Sagen hätten.


Die prächtigen Innenausbauten der Salzmine Wieliczka interpretiere zu einer ausgebauten natürlichen Höhle um, bei der von vornherein durch üppige Flora und Fauna die Nahrungsversorgung gesichert war. Nachdem die Namensgeber allerdings im Laufe der Plage eine Spezies fast komplett ausgerottet hatten, konnte sich eine aggressive Art von Höhlengetier mangels Fressfeind hemmungslos vermehren, bis das Kaer schließlich überrannt wurde. Von dieser Idee hat es letztlich nur eine kleine Anekdote in das "Handbuch des Kaer-Erforschers" geschafft, bei der die Jünglinge unter den Nachfahren der Kaer-Bewohner in die alte Zuflucht zurückkehren müssen, um durch die Jagd auf die Kreaturen dort drin zum Mann zu werden.


Auch nur zu einer solchen Anekdote verkommen ist die Idee der Nekropole; ein Kaer mit ausgedehnten Katakomben und Grüften und kaum Platz für die Lebenden. Die Bewohner des noch verschlossenen Kaers folgen einem morbiden Ahnenkult mit absonderlichen Vorstellungen über die Geisterwelt, bei der die Toten durch ihre Kraft zum magischen Schutz der Zuflucht beitragen. Auch das Finstere Kaer, in dem sämtliche Lichtkristalle - vielleicht durch Dämoneneinfluss? verloschen sind - und in dem bis heute auch magisch kaum zu durchdringende Dunkelheit herrscht, hat es am Ende nur zu einer kurzen Erwähnung durch die drei Adepten geschafft.


Ein Wort zu den Illustrationen
Eine letzte positive Überraschung erlebte ich erste vor kurzem, als ich einen Blick auf die vollständig gesetzte, fast druckfertige Fassung des Quellenbuchs werfen durfte. So wurde ich nach Abgabe aller Texte auch gebeten, Vorschläge für die Illustrationen zu machen. Was es von meiner, bewusst umfangreich mit reichlich Platz für Streichungen angelegten Liste in das Buch geschafft hat, ist auch in den Details erstaunlich nah an meinen Ausführungen - seien es die ganzseitigen Bilder zum Kapitelanfang oder Details wie Frisuren oder die Gesichtszüge von Schauspielern. Da freut es mich sehr, dass anscheinend eine gemeinsame Wellenlänge Ulisses Art Director Maik Schmidt vorlag.


Danksagung und Ausblick
Neben den zahlreichen Mitarbeitern von Ulisses, die mich bei der Entstehung des Kaer-Quellenbuchs unterstützt haben, möchte ich insbesondere Daniel "blut_und_glas" Weyer und Roger "Teilzeitheld" Lewin danken, die die erste Fassung des Manuskripts gegengelesen und zahlreiche Verbesserungsvorschläge gemacht haben.

Ansonsten hoffe ich schlicht, dass das Quellenbuch den deutschsprachigen Earthdawn-Spielern viele Anregungen für ihre eigenen Runden geben und dabei helfen möge, die mannigfaltigen Möglichkeiten dieses Settings weiter auszuloten!


Bildnachweise
"Earthdawn Kaers" Titel und Layoutvorschau via Ulisses Spiele
"Felsenkirche Bete Giyorgis" von Bernard Gagnon via Wikipedia
"Stufenbrunnen Agrasen ki Baoli" von Hdophile via Wikipedia
"Stufenbrunnen Chand Baori" von Adityavijayavargia via Wikipedia
"Das Höhlenschloß Puxer Luegg in Steiermark" von Robert Zander via Wikipedia
"Kingakapelle Salzbergwerk Wieliczka" von Arian Zwegers via Wikipedia

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen