Ich kann etwas, das du nicht kannst

08.02.2012
Seit Jahren widme ich mich in unregelmässigen Abständen immer mal wieder der Entwicklung eines kleinen Karten-/Auktionsspiels mit dem Arbeitstitel "Meteor!", und obwohl ich mit meinen Notizen schon vor einem Jahr bei der Ausbalancierung der Komponenten angekommen war, so reifte in mir doch bald eine erschütternde Erkenntnis: Auf dem eingeschlagenen Pfad wird das Spiel langweilig.

Ziel von Meteor! soll es sein, dass jeder Spieler ein Team von Wissenschaftlern übernimmt, das eine globale Katastrophe abwenden soll. Entweder eine Gruppe hat als erste Erfolg und heimst allein den Ruhm ein, oder alle gehen gemeinsam zu Grunde. Dabei forschen die Teams an den diversen Komponenten für ihr Projekt, die mit fortschreitendem Spielverlauf auch immer stärker sein müssen. Aus einem gemeinsamen Zugstapel können dazu Wissenschaftlerkarten angeheuert werden, die Ressourcen auf die diversen Forschungsprojekte setzen können.
Und genau hier zeigte sich das Problem: Die individuellen Fähigkeiten der einzelnen Forscherkarten waren viel zu gleichförmig; die Karten boten eigentlich nur diverse Kombinationen der einzelnen Ressourcen, die sie als Aktion zu einem Projekt beitragen konnten. Und so wurde mir schnell klar, dass dies am Spieltisch nur zu einem monotonen Platzieren diverser Ressourcen durch die eigenen Forscherkarten geführt hätte, ohne dass
sich einem Spieler jemals wirklich neue Optionen eröffnen, obwohl man doch eigentlich kontinuierlich Karten seinem eigenen Repertoire hinzufügt. Wie gesagt, langweilig. Und so verging wieder einige Zeit, in der meine Notizdatei zunehmend Staub fing, ich mich anderen Spielideen widmete und immer mal wieder in Gedanken zu Meteor! zurückkehrte, wie dies wohl mit mehr Optionen für die Spieler aufzupeppen sei.



Optionen sind nicht alles
Dabei sind es gar nicht mal so viele Spieltypen, bei denen die Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten den eigentlichen Reiz ausmacht, vielmehr steht oft gerade die Gleichförmigkeit im Vordergrund.
Abstrakte Brettspiele - allen voran der Klassiker Schach - betonen gerade das Können der Kontrahenten unter gleichen Bedingungen; und auch ein exotisches Produkt wie Knightmare Chess, das bewusst ein wenig Chaos in den Spielverlauf bringen wollte, konnte daran wenig ändern. Stichspiele beispielsweise leben von ihrer kurzweiligen Gradlinigkeit; die von Varianten wie Stichmeister oder Sticht Oder Nicht auch nur marginal erweitert wird. Und kurzweilige Trivia- und Partyspiele wollen eben nur das bieten: kurzweiligen Spass, ohne dass sich jeder dafür das Hirn zermartern muss.Statt dessen sind es gerade die Aufbau- und Strategiespiele, deren Kern eben in der Individualisierung des eigenen Spielfortschritts und den mannigfaltigen Möglichkeiten für die eigene Züge liegt. Auch kooperative Spiele leben davon, dass bestimmte nützliche Optionen eben nur für einen Spieler verfügbar sind und man so für deren Einsatz auch auf dessen Zug zu warten hat.

Welche Wege aber hat ein Spiel, um den Beteiligten individuelle Optionen mit auf den Weg zu geben? Nach langem Grübeln habe ich 5 Varianten ausgemacht; keine davon ist exklusiv, es gibt durchaus Beispiele für Produkte, die mehrere dieser Varianten einsetzen.


Variante  1 - Der unveränderliche Grundaufbau
 Anstatt im Spielverlauf jedem einzelnen Spieler den Zugang zu diversen Handlungsmöglichkeiten zu geben, sind in dieser Variante die einzelnen Spieler mit deutlich verschiedenen Komponenten oder Fähigkeiten ausgestattet, die sich bis zum Ende des Spiels auch nicht mehr ändern. Unverzichtbar ist gerade hier natürlich eine fein ausgewogene Balance, gerade weil ja nicht vorhergesehen ist, dass sich im Spielverlauf noch etwas an den Spieloptionen ändert.

Bei genauerem Blick finden sich zahlreiche Ausprägungen, in denen diese Fassung eingesetzt werden kann:

Strategiespiele wie Die Siedler von Catan oder Twilight Imperium vergeben per Zufall den Aufbau des Spielfeldes und definieren dadurch den Zugang zu spielwichtigen Ressourcen. Zwar erhöht der variable Spielplan die langfristige Wiederspielbarkeit ungemein, innerhalb einer Partie ändert sich an dieser Stelle aber nichts mehr.

Asymetrische Wargames stellen den Kontrahenten grundverschiedene Truppen zur Verfügung. So übernimmt in Steve Jackson Games Klassiker Ogre ein Spieler die Kontrolle über den namensgebenden Robotpanzer, während sein Gegner mit herkömmlicher Infantrie, Artillerie und Panzern dem Monstrum Einhalt gebieten muss.
Bei Stronghold von Portal Publishing übernimmt eine Partei die Kontrolle über eine Festung samt Verteidigungsanlagen, während der Gegner die belagernden Truppen steuert.
Im kleineren Maßstab verfolgt diesen Ansatz auch die Kartenspielvariante der Siedler von Catan: Hier erhält jeder Spieler sein eigenes Set von 6 Rohstoffkarten, um sicher zu stellen, dass je nach Würfelwurf garantiert unterschiedliche Ressourcen vergeben werden.

Eine weitere Form dieser Variante findet sich bei Spielen, die den einzelnen Spielern beim Aufbau Figuren mit einzigartigen Sonderfertigkeiten zuweisen. Das bereits erwähnte Twilight Imperium vergibt zufällig die außerirdische Rasse samt Sondertigkeit. Bei Dungeon Twister kontrolliert jeder Spieler 4 Figuren, bei denen jede neben den Standardaktionen über eine Sonderfertigkeit verfügt.

Bei kooperativen Spielen schließlich ist diese Zuteilung der individuellen Zugmöglichkeiten ein integrales Konzept. Während hier zwar alle Spieler ein gemeinsames Ziel verfolgen, so kann eben jeder Spieler seine Sonderfertigkeit nur im eigenen Zug nutzen, was von der ganzen Gruppe um so vorausschauendere Planung des eigenen Vorgehens nötig macht. So verfügt bei Rainer Knizias Der Herr der Ringe jeder Hobbit über eine andere Möglichkeit, dem Schatten zu widerstehen oder der Gruppe zu helfen; ähnlich dazu hat jeder Ritter bei Schatten über Camelot eine besondere Fähigkeit zur Bewältigung der einzelnen Questen. Bei Pandemie schließlich helfen die einzelnen Berufe, die allgemeinen Spielfunktionen auf dem Weg zu einer seuchenfreien Welt allgemeingültiger oder effizienter durchzuführen.


Variante 2 - Zufällig ins Spiel kommend
Diese Variante findet sich bei allen Spielen, die primär mit Karten arbeiten. Hier ist jeder Effekt auf eine oder zumindest eine kleine Anzahl Karten beschränkt; und durch den gemischten Zugstapel ist nicht vorhersehbar, wann man die entsprechende Karte und die damit verbundene Spieloption auf die Hand bekommt.

Dies ist natürlich der Kern aller Sammelkartenspiele, allen voran dem Urvater Magic: The Gathering, bei denen man sich ein Deck um die spezifischen Effekte und Kombos einzelner Karten zusammenbaut; durch ein wenig Zugpech aber auch schnell eine Niederlage einstecken kann.

Dem selben Prinzip folgen analog auch die derzeit sehr beliebten Deckbuilding Games wie Dominion oder Thunderstone, nur wird der Zugang zu den einzelnen Karten hier mit einem Marktmechnimus verknüpft.
Auch bei Wargames hat dieses Prinzip in Form der Card Driven Games ein eigenes Genre etabliert, bei dem die Befehle für die eigenen Einheiten nur in Kartenform zugänglich sind.


Variante 3 - Mehrere Aktionsmöglichkeiten auf einer Spielkomponente
Bleiben wir bei den Möglichkeiten von Spielkarten. Zusätzlich zu dem oben beschriebenen Zufallselement gibt es gerade hier noch die Möglichkeit, mehrere Einsatzmöglichkeiten auf einer Karte zu vereinen, von denen ein Spieler nur genau eine ausführen kann.

Diese Form des Dilemmas findet sich beispielsweise bei 51st State, bei dem man eine Karte entweder als kurzfristiger Zugewinn, forlaufender Effekt oder permante Ressoure nutzen kann.

Ähnlich verfährt auch mein Spieldebüt Die Sterne Stehen Richtig, bei dem eine Karte entweder abgelegt wird, um das zentrale Muster auf dem Spieltisch zu verändern, oder permanent für Siegpunkte und einen Konvertierungseffekt genutzt wird.

Und auch bei dem schon aufgeführten Magic: The Gathering finden sich vor allem Spontanzauber, bei denen ein Spieler mehrere Effekte zur Auswahl hat.


Variante 4 - Der offene Markt
Bei dieser Variante müssen die verschiedenen Spieleffekte erst im Spielverlauf individuell erworben werden und stehen anschließend auch nur dem Spieler zur Verfügung, der diesen Kauf getätigt hat. Durch den damit verbundenen Marktmechanismus kann auch einige Zeit vergehen, bis sich ein Spieler einen gewünschten Effekt überhaupt leisten kann.

Die Siedler von Catan nutzt diese Variante sowohl im klassischen Brett- als auch im Kartenspiel: Im Original erwirbt man Siedlungen, um bestimmte Rohstoffkombinationen und -wahrscheinlichkeiten für sich zu nutzen, im Kartenspiel kommen dazu noch Gebäude mit Sondereffekten.

In Caylus findet sich eine Sonderform dieser Variante: Zwar kauft man hier ein Gebäude für sich, macht aber den Effekt für alle zugänglich - wenn auch der Besitzer dann von seinen Mitspieler dafür Geld und somit eben doch einen Vorteil erhält.

Mit Abstrichen fällt in diese Variante auch der Mechanismus, allgemein verfügbare Karten unter den Spielern aufzuteilen. Bei dem schon aufgeführten 51st State dient die eigene Aktion reihum zu Beginn einer Runde als die Währung für den "Kauf" einer Karte aus der allgemeinen Auslage; beim Draftingspiel 7 Wonders gehen die Karten reihum durch die Hände der Spieler.

Nun ist der Kauf einzigartiger Ressourcen in einem Spiel aber nicht automatisch ein Kauf von neuen Spieloptionen: So erweitert der Kauf von Häusern und Hotels bei Monopoly nicht das eigene Repertoir. Dazu ist der Glücksfaktor dieses Würfelspiels weiterhin zu groß; denn es ist nicht vorhersehbar, wann auch jemand auf den eigenen bebauten Straßen landet und dafür zahlen muss.


Variante 5 - Optionen kurzzeitig wegnehmen
Hier steht für alle Spieler ein Repertoire an Spielfunktionen zur Auswahl, von denen jeder Spieler pro Runde genau eine für sich in Anspruch nimmt. Im Gegensatz zur obigen Kaufvariante allerdings werden die einzelnen Funktionen in jeder Runde aufs neue Verfügbar

Diese Variante findet sich im klassischen Worker-Placement, bei dem die Arbeiterfiguren der einzelnen Spieler nach und nach die verfügbaren Spieloptionen in Beschlag nehmen. Unter der Vielzahl der Spiele mit diesem Mechanismus soll die Nennung so erfolgreicher Vertreter wie Agricola, Die Säulen der Erde oder Fresko genügen.

Auch der Mechanismus der Rollenauswahl wie in Puerto Rico, dessen Kartenableger San Juan oder Ohne Furcht und Tadel basiert auf dieser Variante. Der auffälligste Unterschied zum Worker-Placement liegt allerdings darin, dass jeder Spieler nur genau eine Spielfunktion nutzen kann, bevor die gesamte Auswahl wieder für alle verfügbar wird.


Was lerne ich daraus?
Nachdem eine Unmenge an grauer Theorie nun ausgesprochen ist, kehren wir zurück zu meinen eigenen Spielentwicklungen: Welche Konsequenzen kann ich daraus für den halbgaren Prototypen von Meteor! ziehen und dieses Spiel ein wenig aufpeppen?

Wie in der Einleitung schon beschrieben verwende ich bereits Variante 2, indem die Wissenschaftlerkarten mit ihren Ressourcen von einem allgemein zugänglichen Zugstapel ins Zug kommen lasse; danach kommt Variante 4 zum Einsatz, da die einzelnen Spieler die Karten von dem so entstehenden Markt erst noch erstehen müssen.
Da das Problem aber ist, dass deren letztendliche Effekte zu gleichförmig sind, bietet sich für mich zusätzlich noch Variante 3 an: Eine Auswahl an diversen Effekten für jede Karte. Derzeit tendiere ich zu insgesamt derer drei: beim Aufdecken vom Zugstapel für den allgemeinen Markt, einen permanenten Effekt nach Kauf, und einen stärkeren Effekt, wenn man sie wieder aus der eigenen Ablage entfernt. Das gute dabei ist, dass sich hierdurch auch Möglichkeiten eröffnen, vom grundsätzlichen Spielablauf gerade durch interaktive Effekte statt nur einfacher Ressourcenmehrung mehr Würze ins Spiel zu bringen.

Es wird sich zeigen, ob durch diese Erweiterung der Spieloptionen aus Meteor! nach so vielen Jahren auch irgendwann einmal ein gutes Spiel wird.

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