Solospiel Teil 1: Die Gegner-KI

30.06.2012
Vor einigen Wochen schaffte es mit Freitag ein Spiel auf die Empfehlungsliste zum Kennerspiel des Jahres, das ausschließlich für einen einzigen Spieler konzipiert ist. Freitag ist zweifellos ein gutes Spiel, an dessen knackigem Schwierigkeitsgrad ich mir auch schon die Zähne ausgebissen habe; dennoch finde ich es bemerkenswert, dass ein Produkt mit so einer kleinen Zielgruppe das Wohlwollen der Jury erhalten hat.
Und so trieb mich die Frage um, was sonst noch für Spiele zu finden sind, die auch Solitär spielbar sind.

Schon eine erste Recherche auf BoardGameGeek zeigt: Eine Menge; und wie sonst auch, wenn ich mich in grauer Spieltheorie verbeisse, glaube ich drei verschiedene Typen von Mechanismen ausmachen zu können:
  • Mechanismen für ein automatisches Gegnerverhalten (Gegner-KI)
  • Spiele, in denen eh jeder unabhängig für sich spielt
  • Spiele mit fixer und absehbarer Länge
In diesem Artikel werde ich mich wegen der Vielzahl an relevanten Spielen zunächst nur mit Variante 1 auseinandersetzen.


Typ 1: Die Gegner-KI
Wenn kein menschlicher Gegenspieler zur Verfügung steht, so muss das Spiel selbst diese Rolle übernehmen. Die Mechanismen gehen dabei entweder mit auf Punktejagd, stehen im direkten Konflikt mit dem Spieler, oder sie treiben das Spiel auf sein Ende zu, ohne dass der Spieler darauf Einfluss nehmen kann.

So übernimmt in dem bereits genannten Freitag der Spieler die Rolle von Robinson Crusoe, der sich dreimal durch einen Kartenstapel mit Gegnern kämpfen muss, besiegt Karten allerdings als Bonus für zukünftige Konflikte in sein eigenes Deck mischen darf. Am Ende stehen noch zwei Gefechte mit zufällig aufgedeckten Piratenschiffen. Das Spiel fungiert hier offensichtlich als der Gegenspieler, dient aber auch als Maßstab, wann die Partie zu Ende ist. Die zentrale Ressource bilden die Lebenspunkte, die man freiwillig für zusätzliche Kampfkarten ausgeben kann, oder eben durch verlorene Kämpfe ablegen muss - bis man entweder alle Gegner besiegt hat oder keine Lebenspunkte mehr übrig hat und verliert.

Unter den mannigfaltigen Erweiterung von Uwe Rosenbergs Bohnanza gibt es bereits zwei, die auch eine Solovariante mit sich bringen.
In Al Cabohne kommen bis zu drei Mafiabosse mit ins Spiel, die zufällig eine Bohnensorte zugewiesen bekommen. Statt wie in Bohnanza üblich Bohnen in der unbedingten Handreihenfolge auf Feldern gewinnbringend anzupflanzen, werden hier jede Runde drei Karten aufgedeckt, von denen die Bosse "ihre" Sorte sofort einkassieren. Passt dabei auch noch die oberste Karte des Ablagestapels, kommt diese sowohl beim Spieler als auch beim Boss hinzu. Jeder Boss gibt zudem an, bei welchem angehäuften Gegenwert er sein Feld aberntet und ein neues beginnt. Da alle Bosse ihre Erträge gegen die des Solospielers aufaddieren, gilt es geschickt dafür zu sorgen, dass insbesondere der Ablagestapel nicht für die Mafiosi interessant wird.
Bei der Erweiterung Bohnröschen wiederum gilt es, spezielle Aufgaben zu lösen und damit den Weg zum Schloss der verwunschenen Bohne vorzurücken. Zwar spielen die Gegner hier nicht aktiv mit, indem sie besagt Aufgaben lösen; statt dessen zieht eine violette Figur jede Runde automatisch vor, die andere rote - eh mit Vorsprung aufgestellt - nur, wenn sich die violette vor der Spielerfigur befindet. Der Gegnermechanismus setzt den Spieler hier also primär unter Zeitdruck, lässt sich aber bei schnellem Lösen von Aufgaben austricksen.

Bleiben wir bei Uwe Rosenberg. Bei seinem jüngsten Werk Ora & Labora versuchen Geistliche Erträge aus ihrem Umland zu erwirtschaften und diese durch Einsatz von Gebäuden zu veredeln. Zentrales Element ist das Ertragsrad, das in jeder Runde die wechselnden Erträge definiert und fünfmal pro Spiel für eine Siedlungsphase den regulären Spielverlauf unterbricht. In der Solovariante wird ein neutraler Spieler eingeführt, dessen Figuren immer dann aktiv werden, wenn der Solospieler ein neutrales Gebäude nutzt. Zudem versucht der neutrale Spieler, in der Siedlungsphase alle noch nicht gebauten Gebäude zu errichten. Das Ziel der Solitärvariante ist dabei, 500 Punkte durch die Wertungen zu erreichen, wobei die Errungenschaften des neutralen Spielers hier irrelevant sind.

Zudem gibt es noch zwei spezielle Formen der Gegner-KI, auf die sich gesondert einzugehen lohnt:


Sonderfall 1: KI in Erkundungsspielen
In mehreren - meist mit einem Fantasyhintergrund versehenen - Brettspielen gilt es, eine Landkarte Stück für Stück freizulegen und/oder die darauf abgebildeten Aufgaben zu lösen, um schließlich stark genug für eine finale Herausforderung zu sein. Durch diesen "Endgegner" ist schon ein zentraler Mechanismus für einen Gegenspieler enthalten.

So geben die diversen Szenarien im Mage Knight Brettspiel bestimmte Endbedingungen vor, sei es das Entdecken oder Erstürmen einer Festung, oder der Ablauf einer vorgegebenen Anzahl von Runden. Die speziellen Aktionsdecks und das für jeden in seinem Zug zugängliche Mana sind auch die Elemente, über die ein Dummy-Spieler der Solovariante verfügt. Anstatt selbst Gegner zu besiegen und Verbündete anzuheuern, hebt der neutrale Spieler lediglich drei Karten von seinem Deck ab und verbraucht bei der letzten Karte passendes Mana. Da eine Runde immer endet, sobald ein Spieler keine Karten mehr in seinem Deck hat, treibt der Mechanismus auch hier den Spielverlauf voran, ohne in direkte Konkurrenz mit dem Spieler zu treten.

Auch bei Dungeoneer, bei dem die Helden das namensgebende Verlies erkunden, ist das Ziel 3 zufällig gezogene Heldentaten zu vollbringen. Während man im normalen Spiel selbst Monster und Fallen auf seinen Gegner abhängig von dessen steigenden Gefahrenwert ausspielen kann, wird in der im Nachhinein von Atlas Games nachgeschobenen Variante lediglich für jeden Gefahrenpunkt gewürfelt. Ist das Ergebnis kleiner oder gleich dem Gefahrenwert, wird eine Gefahrenkarte aufgedeckt und muss bekämpft werden. Auch hier ist das Lösen von drei Heldentaten das Ziel, bevor man den Gefahren erliegt.

Bei Helden in der Unterwelt aus der inzwischen eingestellten Reihe "Phantastische Abenteuer" versucht man durch das Lösen von Aufgaben stark genug zu werden, um sich dem "Verdammten" stellen zu können, sobald eine bestimmte Gebietskarte aufgedeckt wurde. In der Solitärvariante, in der die Möglichkeit zu Duellen der normalen Fassung natürlich entfällt, ist der Spieler lediglich in der Verwendung einiger Marker eingeschränkt, da ja bereits ein fest definierter Gegner vorhanden ist.


Sonderfall 2: KI in kooperativen Spielen
Die in letzter Zeit zunehmend populären kooperativen Spiele bedürfen schon wegen ihres Grundkonzepts einen Mechanismus, mit dem sich die Spieler zusammen messen können. Die Solovarianten, die einige Exemplare anbieten, können sich somit zumeist am problemlos am Grundspiel orientieren.

So übernehmen in Space Hulk: Todesengel die Spieler die Rolle von Space Marines, die sich gegen die anstürmenden Horden von Symbionten über vier Ortskarten zu ihrem Missionsziel vorkämpfen müssen. Der Mechanismus bestimmt dabei die Anzahl und die Bewegung der einzelnen Gegner. Während in der Koopvariante jeder Spieler 1 Team mit je 2 Space Marines übernimmt, steuert ein Solospieler schlicht alleine 3 Teams, deren Aktionskarten er lediglich separat verwalten muss.

In Ghost Stories bemühen sich die Spieler, eine neue Inkarnation des Geistes Wu-Feng zu besiegen. Die Geister auf der Spieltafel der Spieler aktivieren dabei in einer der Spielphasen ihre Kräfte. Statt einer konkreten Siegbedingung zählt die Regel hier lediglich auf, wann die Spieler verloren haben: Alle sind besiegt, die Urne des Wu-Feng wurde von dessen Dienern gefunden, oder die letzte Geisterkarte kommt ins Spiel. Die bei der Schlusswertung vergebenen Siegpunkte dienen lediglich als Messlatte für den Erfolg der Partie. Somit muss auch die Solovariante an den Grundregeln nichts ändern, nur einige Geisterkarten werden aus dem Zugstapel entfernt und einige Kräfte und Spielfelder modifiziert.

Bei Yggdrasil übernehmen die Spieler die Rolle der nordischen Götter auf dem Weltenbaum, um Asgard gegen nahende Feinde zu verteidigen. Karten lassen die Gegnermarker dabei vorrücken und lösen Negativeffekte aus. Jedem Spieler stehen pro Zug nur drei verschiedene Aktionen zur Verfügung, um in Kämpfen Marker zurückzuwerfen oder Verbündete in den Königreichen Asgards neue Ressourcen zu sammeln. Die Partie endet automatisch, sollten die Widersacher zu weit vorrücken. Da sich die einzelnen Götter für die Spieler nur in ihren Sonderfunktionen unterscheiden und die Gegner in regelmäßigen Abständen durch den Mechanismus Asgard weiter bedrängen, ist eine Solovariante in den Regeln gar nicht erst gesondert aufgeführt.

Auch Space Alert schließlich wird auf seiner Packung zwar für 1-5 Spieler angepriesen, bietet aber nur explizite Regeln für 4-5 und eine Ergänzung für 2-3 Spieler, nicht explizit für 1 Spieler. Statt dessen kann man sich aus letzteren die Solovariante zusammenreimen: Wie üblich gibt ein Hörspiel die zunehmenden Angreifer auf eine Forschungsstation kund und setzt dabei ein festes Ende nach 25 Minuten; die Spielerrollen allerdings werden von Androiden übernommen, deren Aktionen der Solist ebenfalls planen muss. Wie im normalen Spiel erhält man Punkte für zerstörte und überstandene Bedrohungen, sowie Minuspunkte für Schiffsschäden, bewusstlose Spieler und handlungsunfähge Battlebots.


Ein Exkurs: Kooperativ bedeutet nicht gleich solitärMan könnte nun den Eindruck gewinnen, daß alle kooperativen Spiele sich problemlos um eine Solovariante zu erweitern wären. Hier gilt es allerdings ein weiteres mal zu unterscheiden, ob jeder Spieler im Kern die exakt gleichen Optionen wie seine Mitspieler hat, oder ob eine weitere Ressource vorliegt, deren Verfügbarkeit unter den Spieler klar abgegrenzt sein muss.

In Der Herr Der Ringe von Kosmos etwa müssen die Spieler sich mit ihren Hobbits über vier aufeinanderfolgende Abenteuerpfade fortbewegen. Dazu darf der aktive Spieler pro Zug bis zu zwei verschiedenfarbige Handkarten ablegen, um eben dieses Fortschreiten voranzubringen. Da allerdings ein Spieler im Lauf der Partie von Sauron verdorben werden kann, stehen dessen Handkarten dann plötzlich nicht mehr für den Rest zur Verfügung.

Auch in Pandemie verfügt jeder Spieler über eigene Handkarten mit Orten, die zur Seuchenbekämpfung bereist werden können. Für die Entwicklung eines Gegenmittels ist das Sammeln von Sets einer Farbe nötig, allerdings können Spieler nur Handkarten tauschen, wenn sie an eben dem von der Karte benannten Ort gemeinsam stehen. Diese zusätzliche Abgrenzung nach der Position der Spielfigur fügt der Interaktion unter den Spielern eine weitere wichtige Komponente hinzu.

Solitär mögen diese beiden beispielhaften Mechanismen vielleicht abbildbar sein, aber sie würden auch für einen allein schnell sehr unübersichtlich.


Fortsetzung folgt
Sicher gibt es noch andere Spiele, die sich in die oben aufgeführten Kategorien und Varianten einordnen lassen, aber das würde den Rahmen dieses Artikels endgültig sprengen. Die anderen Varianten werde ich - hoffentlich im Juli - in Folgebeiträgen ausführlich sezieren.


Solospiel - Die Artikelserie
Teil 1 - Die Gegner-Ki
Teil 2 - Jeder für sich geht auch allein
Teil 3 - Das feste Ende
Teil 4 - Mögliche Adaptionen

1 Kommentar:

Gerrit Reininghaus hat gesagt…

Kleine Korrektur: Bei Space Alert wird explizit die Solo-Variante beschrieben. Im Unterschied zu den Mehrspielere-Varianten darf man hier die Aktionskarten vorsortieren, hat also alles jederzeit beliebig viel zur Verfügung. Sonst wird es zu schwer. Ich finde, dass die Solo Variante sich auch ausgesprochen gut spielt.

Zum Exkurs (Kooperativ ungleich Solitär-Potenzial) finde ich Pandemie noch recht einfach Solo spielbar. Ein schönes Beispiel für ein vollkooperatives aber unmöglich Solo spielbares Spiel ist Hanabi. Die Informationsasymmetrie ist wesentlicher Teil des Spiels.

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