Archiv der Demoabenteuer II: Star Trek (CODA)

25.06.2018
Unter den großen Platzhirschen des Hypes der 90er Jahre um das neuartige Konzept der Sammelkartenspiele gehörte auch Decipher, die sich zu diesem Zweck die Lizenz für Star Trek gesichert hatten. Anfang der 2000er wagte der Verlag damit auch den Sprung in den Rollenspielmarkt, so dass ich als frischgebackener Supporter (wenn auch primär für die Kartenspiele) einige Demoszenarien dafür entwarf.


Decipher und das CODA-System
Bei seinem Debüt auf dem Rollenspielmarkt präsentierte Decipher mit dem Star Trek Roleplaying Game von 2002 auch seinen eigenen Regelkorpus, der im gleichen Jahr auch für das Lord of the Rings Roleplaying Game verwendet wurde. Dabei konnten auch einige mehr oder weniger namhafte Designer gewonnen werden: so zum Beispiel Kenneth Hite, der neben dem Star-Trek-Rollenspiel von Last Unicorn Games auch schon an Gurps oder Mage: The Ascension gearbeitet hatte und später mit Gumshoe Erfolge feiern sollte; oder Steven S. Long, einer der Gründer von HERO Games. Auch andere Veteranen von LEG wie Christian Moore, Ross A. Isaacs oder Matthew Colville vereinte Decipher unter seinem Dach.

Das System war für mein Empfinden geradlinig und arbeitete mit vielen bekannten Komponenten: Sechs Attribute, an DnD 3e erinnernde Fertigkeiten zusammengesetzt aus Attributsbonus und Fertigkeitsrang sowie diverse Vor- und Nachteile. Gewürfelt wurde mit 2w6 plus Fertigkeitswert gegen einen Zielwert. In sehr guter Erinnerung habe ich vor allem die Charaktererschaffung, die die einzelnen Alienrassen und ihre Rollen an Bord in wählbare Pakete aufteilte, die dann einen Satz an Fertigkeitsrängen sowie eine Auswahl an Vor- und Nachteilen vorgaben. Ebenfalls bemerkenswert empfand ich, dass bereits das Grundregelwerk alle (damals noch) vier Serien als Schauplatz anbot und auch Mannschaften außerhalb der Föderation als Option darstellte.

 

Decipher legte sich für sein Star-Trek-Rollenspiel auch mächtig ins Zeug: innerhalb von zwei Jahren erschienen neben Player’s und Narrator’s Guide auch Quellenbücher über die Sternenflotte, Alienrassen, Kreaturen und Raumschiffe. Viel Erfolg war dem CODA-System und seinen beiden Ablegern aber dennoch nicht beschieden, zu verhalten war der Zuspruch in der Rollenspielgemeinde. 2005 schrieb Decipher zudem wegen der schlechten Verkaufszahlen bei neuen Sammelkartenspielen zu Animelizenzen Verluste, zudem stellte sich später heraus, dass der Schwager des Firmengründers bereits seit dem Jahr 2000 Firmengelder veruntreut hatte. So erschienen die letzten beiden groß angekündigten Star-Trek-Quellenbücher Worlds und Mirror Universe nur noch als pdf. 2007 verlor Decipher dann auch die Lizenz zum Herrn der Ringe und zu Star Trek, womit die alte Glorie des Verlags endgültig verblasst war. So bleibt das Star-Trek-Rollenspiel von Decipher nur eine Fußnote in den Annalen des Hobbys, die nie an den Fanerfolg des ICON Systems oder den Hype des aktuellen 2d20 Star Trek Adventures heranreichen konnte.

   

Nun aber zurück zu den aussichtsreichen ersten Tagen. Auf der Spiel in Essen 2002 war ich zum ersten Mal für Decipher auf dieser Messe im Einsatz, nachdem ich dort zuvor schon Jahre als eifriger Käufer und erfolgloser Sammelkartenspieler verbracht hatte. Statt aber das Kartenspiel zu bewerben, fragte ich explizit nach Möglichkeiten, das Rollenspiel vorzustellen, und entwickelte Mangels Vorlagen gleich vier passende Szenarien, die ich Interessierten anbieten konnte: Eines für jede der damals bekannten Serien.


Vorgefertigte Charaktere
Nicht nur sollten meine Abenteuer zu gänzlich unterschiedlichen Zeiten oder Orten spielen, es war mir auch wichtig, die Möglichkeiten zum Rollenspiel abseits der in den Serien allgegenwärtigen Föderation zu zeigen. Dies machte aber einen kompakten Kader von Beispielcharakteren unmöglich, so dass ich tatsächlich für jedes Abenteuer sechs verschiedene Figuren entwarf. Nun gut, Föderationspersonal mit Menschen und Trill machte schon noch fast die Hälfte aus, dazu kamen aber noch etliche Klingonen, ein romulanischer Verbindungsoffizier (für den Decipher mir auf Emailanfrage auch netterweise die offiziellen Spielwerte mitteilte) und eine Mannschaft von Hirogen.


Szenario 1 – TOS: Gestrandet auf Pardalis 5
Teaser: „Durch eine unbekannte Macht strandet eine Shuttlecrew auf einem öden Planeten.“

Ein immer wiederkehrendes Motiv des Originals aus den 60ern war die Bedrohung und Entmenschlichung durch Roboter und Kunstwesen, während die späteren Serien ja ihrer Zeit gemäß eher Biotechnologie als wachsende Gefahr inszenierten. So erweist als der Grund für das Verschwinden von Minenkolonisten auf Pardalis 4 der Nachbarplanet Pardalis 5, auf dem ein uraltes Elektronengehirn noch immer seiner inzwischen unnützen Wächterfunktion nachgeht, ist doch die Hochkultur, die er beschützen sollte, schon lange untergegangen. Mit den vergangenen Jahrtausenden ist das Elektronengehirn aber auch sehr anfällig geworden, so dass es Neuankömmlinge in dem System einfach entführt, auf dass sie es reparieren. Bisher konnte das aber niemand, so dass also die Crew des Föderationsschiffs U.S.S. Ordeal nach dem Rechten schauen soll.

Auf der Oberfläche von Pardalis 5 (bitte stilecht beschreiben mit grellen Farben und Felsen aus Pappmaché) werden die Kundschafter von einigen humanoiden Robetern angegriffen, deren Anführer schließlich die Geschichte des Ortes preisgibt und die Charaktere zum unterirdischen Heim des Rechners (mehr Pappmaché!) führt. Gelingt die Reparatur und sind die entführten Kolonisten gerettet, so kann das Elektronengehirn vielleicht sogar zu einer neuen Aufgabe überredet werden: In den Minenarbeitern hätte es jedenfalls wieder neue Bewohner, die es beschützen kann.

Im Rückblick finde ich das Szenario immer noch solide, transportiert es doch gelungen das geradlinige Gefühl der Originalserie. Dass die Handlung dabei nicht wirklich originell oder vielschichtig ist, empfinde ich da gar nicht einmal als Makel.


Szenario 2 – TNG: jup e jagh – Freund und Feind
Teaser: „Während des klingonischen Bürgerkriegs sollen Krieger im Dienste der Duras-Familie einen Außenposten der Gegenseite erobern.“

Star Trek: Das nächste Jahrhundert erschien mir mit seinen politischen (und moralisch überkorrekten) Handlungen als ein geeigneter Aufhänger, ein Abenteuer jenseits der starren Föderation anzusiedeln. Meine Entscheidung fiel auf den klingonischen Bürgerkrieg, den TNG in typischer Manier der 80er leider nur auf zwei Folgen zum Übergang zwischen Staffel 4 und 5 reduzierte, um dann ja wieder für altbekannten Status Quo zu sorgen. Um noch für einen kleinen Twist zu sorgen, kämpfen die Charaktere allesamt auf Seiten der Duras-Familie – den intriganten Bösewichten der Doppelfolge, die am Ende der unehrenhaften Kooperation mit den Romulanern entlarvt werden.

So sollen die Figuren auch eine kleine Raumstation der Kontrolle der Gowron-Anhänger entreißen, damit ein romulanischer Versorgungskonvoi unbemerkt passieren kann. Nach getarntem Anflug sollen die Duras-Krieger die Brücke (gefälligst stilecht im Nahkampf mit dem Bat’leth) stürmen und anschließend dem Konvoi den Weiterflug signalisieren. Kurz darauf kommt es zu einem weiteren Scharmützel mit einem zur Hilfe herbeigerufenen Raubvogel, der natürlich auf keinen Fall die Präsenz der Romulaner melden darf. Ist die Mission erfüllt, sollen die Duras-Krieger die Station sprengen, um wirklich alle Spuren zu beseitigen.

Obwohl mir der Aufhänger und die Rolle der Charaktere auf der Seite der Bösen immer noch gefällt, bin ich rückblickend entsetzt, wie wenig ich daraus gemacht habe. Ja, es sind Klingonen, natürlich muss da auch gekämpft werden, aber allein schon das Entern der feindlichen Station hätte so viel Potential für eine heimliche Sabotageaktion gehabt – gerade, weil man doch auf Seiten des intriganten Hauses ist.


Szenario 3 – DS9: Siegen heißt Leben
Teaser: „Im Krieg gegen das Dominion muss eine Einsatztruppe der Föderation ein Ketracel-White-Depot unschädlich machen.“

Zu meiner damaligen großen Wonne beendete Deep Space 9 endlich die verkrampfte Statik von TNG, auch ja nicht viel am Status Quo der galaktischen Verhältnisse zu rütteln (auch wenn ich immer noch behaupte, den Auslöser dafür gab meine Lieblings-SF-Serie Babylon 5). Damit war von Anfang an klar, dass das passende Abenteuer dazu im Krieg gegen das Dominion angesiedelt sein würde. Durch das Zweckbündnis mit den Romulanern ergab sich auch die Möglichkeit, das reine Föderationspersonal durch andere Loyalitäten etwas aufzulockern. Dank der zahlreichen Detailbilder, die Decipher für sein Star-Trek-Sammelkartenspiel auch aus nur sekundenlangen Sequenzen herausholte, hatte ich auch eine ungefähre Vorstellung des Austragungsorts.

 

Schauplatz des Szenarios ist ein Asteroid, auf dem das Dominion eine der ersten Fabriken des Enzyms Ketracel White im Alphaquadranten, um die Kampfeinheiten der Jem’Hadar besser zu unterstützen. Nach getarntem Anflug müssen acht Sprengladungen angebracht werden, während die Sabotagetruppe den sporadisch patrouillierenden Jem’Hadar aus dem Weg geht. Wird das Dominion jedoch der Eindringlinge gewahr, so wird stilecht ein Vorta Verhandlungen beginnen – oder besser, die Kapitulation der Saboteure einfordern. Schafft man jedoch die Sprengung der Fabrik, so folgt als letztes die Flucht vor den Kampfschiffen des Dominion durch die Asteroiden.

Dieses Szenario gefällt mir auch heute noch ausgesprochen gut, auch wenn ich die Vielzahl an Optionen für Heimlichkeit, Fallen oder Kampf nur sehr oberflächlich aufgeschrieben habe. Tatsächlich wurde dieses Abenteuer auch auf Veranstaltungen am häufigsten von den Spielern gewählt und kam jedes Mal gut an.


Szenario 4 – Voyager: Die Herausforderungen der Jagd
Teaser: „Eine Jagdgruppe der Hirogen stößt auf eine unbekannte Beute.“

Der Deltaquadrant aus Handlungsort von Voyager lässt natürlich eine ungeheure Bandbreite an möglichen Szenarien zu, in denen die Föderation überhaupt keine Rolle spielt. Von den zahlreichen Aliens und Kulturen, denen Janeway und Crew begegneten, sind mir die nomadenhaften Hirogen mit ihrer Jägerkultur am besten in Erinnerung geblieben, so dass ich für das Abenteuer die gesamte Crew einer solchen Jagdgruppe zusammengebaut habe.

Um dem aber noch ein wenig Würze zu geben, habe ich als potentielle Beute auf eine Kreatur zurückgegriffen, die eigentlich aus DS9 stammt: Einen Gründer aus dem Dominion. Letzteres hat ja vor langer Zeit 100 Wechselbälger in Raumkapseln losgeschickt, um die Weiten des Universums zu erkunden – aus einer dieser Kapseln stammte ja bekanntlich Odo, Sicherheitsoffizier von DS9, der lange Zeit keine Ahnung von seiner wahren Abstammung hatte. Nun, warum sollte nicht eines dieser Raumschiffe im Deltaquadranten gelandet sein?

So erhält auch das Jägerschiff der Hirogen auf seiner Reise das Signal von einer Lebensform in einem Asteroidengürtel, das es zu untersuchen gilt. Das Öffnen der Kapsel offenbart natürlich nur eine amorphe Masse, die keiner als Wechselbalg zu erkennen vermag. Damit ist aber der Gründer auf dem Schiff und versucht langsam, es durch Sabotage und Angriffe auf die Crewmitglieder zu übernehmen. Die Zeit drängt also, die wahre Natur des Eindringlins zu erkennen und ihn aufzuhalten.

Von den vier Star-Trek-Szenarien, die ich damals ersonnen habe, gefällt mir dieses bis heute am besten, eben weil es mit den Hirogen Randfiguren einer Serie in den Mittelpunkt stellt, gleichzeitig mit einem Gründer aber auch eine unerwartete Verflechtung mit einer anderen Serie vornimmt. Gespielt habe ich es nur einmal, und das war leider weniger erfolgreich. Die Gruppe bestand bereits aus erfahrenen ST-Spielern, die das ganze Szenario im Idealfall nur mit Sensoren und dem Transporter bestritten hätten, ohne auch nur einmal die Brücke zu verlassen. Auf diesen Ansatz, so sehr auch zu Trek passt, war ich überhaupt nicht vorbereitet. Außerdem ist es bei einer gerade zusammengefundenen Gruppe mehr als schwer, die Paranoia und die leichten Seltsamkeiten eines von dem Wechselbalg ersetzten Kameraden zu vermitteln. Wahrscheinlich ist dieses Szenario tatsächlich besser in eine schon lange miteinander spielende Runde einzubauen – fraglich ist nur, ob es tatsächlich Gruppen gibt, die langfristig als Hirogen spielen wollen.


Zuletzt: Die Downloads
Zu meinem eigenen Entsetzen habe ich in meinen umfangreichen, aber verstreuten Datenarchiven nicht die orginalen Worddokumente der beschriebenen Abenteuer wiedergefunden. Stattdessen ist aber immerhin inmitten der Ordner mit etlichen Sammelkartensets auch der mit meinen damaligen Ausdrucken zur Verwendung in den Demorunden aufgetaucht. Hier nun also die passablen Scans dazu in pdf-Form:

Star Trek (Coda) - TOS - Gestrandet auf Pardalis 5 (pdf 7,49 MB)
Star Trek (Coda) - TNG - Jup e jagh - Freund und Feind (pdf 5,56 MB)
Star Trek (Coda) - DS9 - Siegen heißt Leben (pdf 5,42 MB)
Star Trek (Coda) - Voy - Die Herausforderungen der Jagd (pdf 5,12 MB)


Star Trek war aber nicht das einzige Rollenspiel, für das ich Anfang der 2000er Teil des Supportteams war. So ist dies nur Teil 2 von einer Artikelserie über meine alten Einstiegsabenteuer:

Teil 1: Der Herr der Ringe (Coda)
Teil 2: Star Trek (Coda)
Teil 3: Munchkin d20



Dieser Artikel ist ein Beitrag zum Karneval der Rollenspielblogs im Juni 2018 mit dem Thema „First Contact oder vom Einsteige(r)abenteuer“. Die Moderation liegt bei Dnalors Fantasy Blog, alle Beiträge des Monats werden zudem in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs aufgelistet.


Bildquellen:
Buchcover: RPGGeek
Sammelkarten: Star Trek CCG Continuing Committee

1 Kommentar:

Ron hat gesagt…

Danke für diesen Einblick und die PDFs. Weckt einige tolle Erinnerungen an das Coda-System, das ich selbst lange gemeistert habe. Bin jetzt unsicher, ob ich auf der SPIEL schon damals durch Dich infiziert wurde … :-)

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