Spannende Konflikte und ihre Stellschrauben

08.09.2016
Konflikte und ihr ungewisser Ausgang machen eine Geschichte im Rollenspiel spannend. Obwohl sie eine völlig andere Art von Erzählung als Romane und Filme sind, so lassen sich doch grundsätzliche Richtlinien aus Literatur und Film auf die Gestaltung im Rollenspiel übertragen. So kennt man dort die drei Elemente Ziel, Gegenspieler und Einsatz, um damit die Dramaturgie eines Konflikts zu steuern. Was also beinhalten diese Stellschrauben eigentlich, und wie genau kann man an ihnen drehen?



Das Ziel
Ohne ein Ziel gibt es keinen Grund, überhaupt etwas bewegen zu wollen oder sich auf ein Abenteuer einzulassen – wer wunschlos glücklich ist, der kann auch zu Hause auf dem Sofa sitzen bleiben. Dabei kann ein Ziel sowohl kurz- als auch langfristiger Natur sein. Kurzfristige Ziele haben vor allem Auswirkung auf die aktuelle Szene und bilden die Grundlage des anstehenden Konflikts:

  • Eine verschlossene Tür öffnen – Im Herrn der Ringe müssen die Gefährten das Westtor von Moria öffnen, um die alte Zwergenbinge betreten zu können.
     
  • Informationen erhalten – Marlin braucht in Findet Nemo die Taucherbrille, um die Adresse desjenigen herauszufinden, der seinen Sohn Nemo entführt hat.
     
  • Einen Gegenstand ergattern – Asterix und Obelix müssen in Asterix erobert Rom an den Passierschein A38 gelangen.
     
  • Ein Wettrennen – Woody und Buzz Lightyear müssen mit ihrem ferngesteuerten Spielzeugauto den Umzugslaster von Andy einholen.
     

Langfristige Ziele treiben meist die gesamte Geschichte voran:

  • Sich selbst beweisen – Luke Skywalker möchte in die Fußstapfen seines Vaters treten und selbst ein Jedi-Ritter werden.
     
  • ReichtumDie Goonies suchen den Piratenschatz des Einäugigen Willy, damit sie ihre Häuser bezahlen können und nicht einem Golfplatz weichen müssen.
     
  • Rache – Leonard sucht in Memento den Mörder seiner Frau.
     
  • Seelenfrieden – Eddie Valiant kann in Falsches Spiel mit Roger Rabbit den Tod seines Partners nicht überwinden und fragt sich, welcher unheimliche Toon dahinter steckt.
     
  • Veränderung bewirken – Die Rebellenallianz in Star Wars möchte das Imperium besiegen und die Republik wieder einsetzen.
     

 
Im Rollenspiel sind gerade langfristige Ziele zumeist Teil der Vorarbeit und Charaktererschaffung, bevor die eigentlichen Spielsitzungen beginnen. Gerade narrative Spiele wie Fate sehen auch explizit vor, diese zu Beginn zu formulieren.
In meinen Augen ist dies die Spannungsschraube, an der man nur sehr behutsam drehen kann, schließlich ist sie vor allem für den Aufbau einer Szene verantwortlich. Je langfristiger allerdings das Ziel, vor dessen Vollendung man steht um so spannender ist es für die Abenteurer, schließlich haben sie ja schon einiges an Zeit, Aufwand und Emotionen hineingelegt.


Der Gegenspieler
Ohne Gegenwehr ist es kein wirklicher Konflikt. Je nachdem, wer sich den Abenteurern entgegenstellt, ist der sich anbahnende Wettstreit leichter oder schwieriger zu bewältigen, so dass sich mit zunehmender Kraft und Kompetenz des Gegenspielers der Ausgang eines Konflikts umso ungewisser und spannender gestaltet. Auch hier liefern Film, Fernsehen und Literatur etliche Beispiele:

  • Der schwache Gegner – Von ihm geht auch in größerer Zahl keine ernsthafte Bedrohung aus, wie etwa imperiale Sturmtruppen (Star Wars), die Straßengang der Herren des Todes (Big Trouble in Little China) oder eine Orkbande (Der Herr der Ringe).
     
  • Der ebenbürtige Gegner – Dieser Widersacher hat etwa die gleichen Fertigkeiten wie die Abenteurer selbst und ist im Kampf Mann gegen Mann, manchmal aber auch gegen die ganze Gruppe nur mit Mühe zu überwinden, wie etwa Boba Fett (Star Wars), Oddjob (James Bond: Goldfinger) oder Karl (Stirb Langsam).
     
  • Der übermächtige Gegner – Allein seine Erwähnung kann die Abenteurergruppe erschaudern lassen, einer direkten (insbesondere physischen) Auseinandersetzung geht man besser aus dem Weg, da die Helden für diesen Gegenspieler keine wirkliche Bedrohung darstellen. Zumeist ist der übermächtige Gegner auch rechte Hand und oberster Leutnant des Strippenziehers, wie zum Beispiel Darth Vader (Star Wars), die drei Stürme Donner, Regen und Blitz (Big Trouble in Little China) oder die Nazgul (Der Herr der Ringe).
     
  • Der Strippenzieher – Meist reserviert für das Finale eines Abenteuers oder einer ganzen Kampagne, ist der Strippenzieher der wahre Auslöser hinter den Ereignissen, deren Fäden er in Händen hält. Physische Auseinandersetzungen hat er oft nicht nötig, die überlässt er seinem Leutnant, und so muss man ihm meist auf geistiger Ebene beikommen. Berühmte Beispiele sind etwa Imperator Palpatine (Star Wars), Ernst Stavro Blofeld (James Bond), David Lo Pan (Big Trouble in Little China) oder Hans Gruber (Stirb Langsam).
     


Ich habe mich bei den Beispielen bewusst nur auf Personen beschränkt; betrachtet man die oben aufgelisteten Ziele, so kann ein Gegenspieler auch durchaus in Form eines komplizierten Schlosses, eines schwierigen Rätsels oder mangelnder Zeit auftreten.

Im Rollenspiel finden sich durch die starke Verregelung gerade physischer Kämpfe zahlreiche Optionen und Vorlagen, um genau diese Skalierung im Spiel umzusetzen – Savage Worlds kennt mit seiner Unterscheidung von Statisten und Wildcards sogar die Differenzierung einfacher Schergen und besonders fähiger Widersacher.


Der Einsatz

Dies ist wahrscheinlich die wichtigste der drei Stellschrauben, denn selbst das hehrste Ziel und der mächtigste Gegenspieler sind uninteressant, wenn nichts auf dem Spiel steht. Dabei kann die Figur entweder nur auf sich selbst und das eigene Wohl fokussiert sein, oder aber Sorge für andere Dinge, Personen oder Ideale haben.

Steht das persönliche Wohl im Vordergrund, so gibt es bereits dort diverse Steigerungsmöglichkeiten, den Einsatz zu erhöhen, je mehr die eigene Existenz bedroht ist:

  • Kontakte und Verbündete – Ein Gefolgsmann droht damit, eigene Wege zu gehen. Ein Straßenkontakt ist kurz davor, ausgeschaltet zu werden.
     
  • Der eigene Ruf und die soziale Stellung – Ein Gerücht droht, die Reputation als selbstloser Wohltäter zu ruinieren.
     
  • Ausrüstung und Wohlstand – Beim Einlass zum großen Fest fordert man die Abenteurer auf, alle Waffen abzugeben. Bei einer Gerichtsverhandlung droht einem Helden eine empfindliche Geldstrafe, vielleicht sogar Enteignung.
     
  • Handlungsfreiheit – Der Abenteurer soll gefesselt, gefangen genommen oder eingesperrt werden.
     
  • Leib und Leben – Der mächtige Krieger, schon gebeutelt von vorangegangenen Scharmützeln, kann nur noch wenige Treffer verkraften.
     

Viele dieser Ressourcen sind Elemente, die von Rollenspielen zumeist auch in Regeln gefasst werden und, derart quantifiziert, von Spieler und Spielleiter gut überblickbar sind. Werden diese im Verlauf einer Sitzung immer weniger oder fehlen schließlich völlig, so mag es für den Spieler außerdem zunehmend spannend werden, auf welchem Wege er die kommenden Konflikte noch lösen soll, und ob er die verlorenen Ressourcen überhaupt wird zurückerlangen können.



Auf der anderen Seite können Dinge gefährdet sein, die dem Helden lieb und teuer sind und die nicht unmittelbar mit seiner eigenen Person zu tun haben: Ideale wie der Kampf von Gut gegen Böse, Freundschaften oder Familienmitglieder.

Hier gibt eine der finalen Konfrontationen in „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ in meinen Augen ein wunderbares Beispiel ab. So versucht der schon oben genannte Imperator Palpatine, Luke Skywalker Schritt für Schritt auf die Dunkle Seite der Macht zu ziehen. Luke hat zwar die Sorge um das eigene Wohergehen hinter sich gelassen und gibt gegenüber Palpatine freimütig zu „Ich sterbe bald. Und ihr mit mir.“ Allerdings dreht der Imperator selbst zunehmend an genau dieser Spannungsschraube und konfrontiert den jungen Jedi damit, welche Dinge und Personen, die Luke am Herzen liegen, während der tobenden Schlacht ihr Ende finden werden, bis dieser schließlich wutentbrannt zu seinem Lichtschwert greift. Die Steigerung verläuft dabei wie folgt:

  • Die Sache – Die Rebellenallianz und ihr Kampf für Wiedereinsetzung der Demokratie werden scheitern.
     
  • Die Kameraden – Die Rebellenflotte hat keine Chance gegen die imperialen Übermacht.
     
  • Die Freunde – Die treuen Gefährten, mit denen Luke seine bisherigen Abenteuer bestritten hat, werden im Kampf um den Bunker auf Endor ihr Ende finden.
     
  • Die Familie – Leias Seelenheil steht auf dem Spiel. Allein dieser Satz von Darth Vader bringt es auf den Punkt: „Solltest du dich nicht zur Dunklen Seite der Macht bekehren lassen, dann gelingt uns das vielleicht mit ihr.“
     

Gerade narrative Systeme wie zum Beispiel Fate oder F/U, aber auch diverse Rollenspiele mit mehr „Crunch“ wie etwa Gurps bilden derartige Abhängigkeiten gezielt ab, um eben die Grundlage für spannende Konflikte zu erzeugen.


Konflikte sind nur ein Element der Spannung

Natürlich gibt es noch andere Stellschrauben, um während eines Rollenspielabends Spannung zu erzeugen – Neugier, der Reiz des Unbekannten und überraschende Wendungen motivieren die Spieler, die Geschichte weiter voranzutreiben; außerdem macht es natürlich in einem verbalen Medium wie dem Rollenspiel einen Unterschied, ob man trocken oder ansprechend erzählt. Vielleicht mögen mir diese Stellschrauben auch separate Artikel zum Spannungskarneval wert sein.



Dieser Artikel ist ein Beitrag zum Karneval der Rollenspielblogs im September 2016 mit dem Thema "Wie dreht man an der Spannungsschraube". Die Moderation liegt bei Zornhau, alle Beiträge des Monats werden zudem in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs aufgelistet.

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